Akif Pirincci / 02.08.2013 / 12:36 / 24 / Seite ausdrucken

Applaus, Applaus für den Sitzpinkler

“Sportfreunde Stiller” ist eine deutsche Band, die in letzten Jahren insbesondere mittels kunstsinnig angehauchter Fußballieder aus der alternativen Ecke kam und in diesen Tagen wohl ihren erfolgreichsten Hit gelandet hat. Schon vom Erscheinungsbild ihrer Mitglieder her repräsentieren sie, vielleicht gar nicht einmal gewollt, wie keine andere Kapelle die Bionade-Thirtysomethings großstädtischen Typs und die vergrünisierte und verweichlichte Geisteshaltung, die zwischen Prenzlauer Berg und Freiburg und mittels vom Fernsehen abgeguckten Links-sein-lieb-sein-alle-Menschen-sollen-gleich-sein-Attitüden auch in der Provinz vorherrschen mag. Auch die nach wohltemperiertem WG-Diskussionston und mildem Sozialpädagogik-Kehlkopf klingende Stimme des Sängers Peter Brugger trägt dazu bei, daß sich sämtliche Songs der Sportfreunde nach harmlosen, nichtsdestoweniger eingängigen Anbiederungen an den sich vom Zeitgeist herumschubsenden Kindsmann anhören.

Ich möchte hier anhand des Textes des aktuellen Stiller-Hits “Applaus, Applaus” darlegen, wie ich das meine, wohlweißlich, daß der Texter/Komponist in seinem Schaffensmoment bestimmt keine politische oder gesellschaftskritische Botschaft im Hinterkopf hatte, sondern einfach nur ein gutes Liebeslied produzieren wollte. Dennoch glaube ich zu erspüren, daß das Biotop, in dem er sich befindet, und eine gewisse Erwartungshaltung seines speziellen Publikums, ihn quasi unbewußt dazu verleitet haben mag, die Worte zu wählen, die er gewählt hat.

Bereits der Titel erweckt Assoziationen an Zirkus und Manege, nimmt den Hörer sogleich mit in eine kindliche Welt mit aufgerissenen Strahleaugen. Brugger tut durch seinen bewußt im naiven, ja infantil gehaltenen Tonfall im Gesang sein Übriges, daß “Applaus, Applaus” ziemlich unerotisch rüberkommt. Und obgleich es sich um einen Liebessong handelt, also um die Anbetung und Werbung einer Frau, wird an keiner Stelle deren Schönheit und ihr lusterregendes Wesen erwähnt, sondern ausschließlich ihre grundguten Charaktereigenschaften im Stile von Reden auf evangelischen Kirchentagen. Zudem verzichtet der Lobhudler komplett auf die aggressiv drängende Rolle des heißblütigen Kavaliers, der die Frau mit gewagten Komplimenten anbaggert, sondern verharrt wie brav auf dem Stuhl sitzend und akkurat gescheitelt im Bild des Punkterichters, der Liebe und Sex und unausgesprochen auch die Erlaubnis dazu ausschließlich über moralisches Benehmen definiert.

“Ist meine Hand eine Faust, machst du sie wieder auf,
und legst die deine in meine.”

Die erste Strophe gibt schon unmißverständlich die Stoßrichtung an: Der Mann, der gerne mal auch im metaphorischen Sinne eine Faust macht, um damit irgendwelche Fressen zu polieren, wird von der ach so friedenstaubenmäßigen Weiblichkeit daran gehindert. Vielleicht aber ist es auch eine Drohung. Das Ganze klingt nämlich eher nach einer Kindergärtnerin mit steinernem Gesicht und pazifistischer Gesinnung, die kleinen Jungs die Spielzeugpanzer mit der wohlmeinenden, aber keinen Widerspruch duldenden Ansage aus der Hand schlägt, daß (männliche) Gewalt, ja gar Durchsetzungsvermögen “irgendwie” Scheiße ist ...

“Du flüsterst Sätze mit Bedacht durch all den Lärm
als ob sie mein Sextant und Kompass wären.”

Naja, hat was von Luther-Speech, und eine Frau, die Sätze “mit Bedacht flüstert” ist entweder schon etwas älteres Semester oder hat einen Esoterik-Knall. Außerdem schwingt in der ersten Zeile ein unangenehm überheblicher Zug mit, geradeso, als habe die bedächtig flüsternde Alte dem Typ eingeredet, daß alle außer ihr nur Bullshit (durch all den Lärm) reden würden, während sie natürlich die Weisheit mit dem Löffel gefressen hat. Und wie zur Bestätigung wird das bedächtige Weibergelaber für ihn schon in der nächsten Zeile zu seiner Bibel bzw. zum Sextant und Kompass. Es scheint sich hier um eine sehr verkopfte Liebe zu handeln, denn außer geistigen Orgasmen passiert nichts, wofür man später Taschentücher bräuchte.

Dann jedoch kommt der Refrain, und zum ersten Mal taucht das Zauberwort auf, welches in keinem Liebeslied fehlen darf: Herz!

Applaus, Applaus
für deine Worte.
Mein Herz geht auf,
wenn du lachst!
Applaus, Applaus,
für deine Art mich zu begeistern.
Hör niemals damit auf!
Ich wünsch mir so sehr,
du hörst niemals damit auf.

Das mit dem Herz erweist sich allerdings etwas voreilig, denn dieses geht ihm nur auf, wenn sie lacht, und nicht, wenn er zum Beispiel ihre barocken, roten Lippen oder gar an ihr etwas noch “Herzhafteres” sieht, was man mit Lippen in Verbindung bringen könnte. Ansonsten gibt es wieder viel Applaus, Applaus für “deine Worte” und “deine Art mich zu begeistern”. Von Körperlichkeit keine Spur. Alles spielt sich auf einer Verhaltensebene ab, und der Kerl ist froh, wenn sie sich mal ein Lachen abringt, vermutlich, weil der neue Paulo Coelho erschienen ist oder die Grünen bei der Sonntagsumfrage einen Punkt zugelegt haben. Daß wir es hier mit einem von allgegenwärtigen Genderismus und dessen Verlangen nach kastratenartigem Wohlverhalten der XY-Träger gänzlich zur Strecke gebrachten Opfer zu tun haben, das offenkundig nun unter dem Stockholm-Syndrom leidet, merkt man daran, daß er am Ende nur noch “Hör niemals damit auf! / Ich wünsch mir so sehr, du hörst niemals damit auf” winselt. Was für ein Waschlappen! Der Liebesbarde ist in Wahrheit der abgerichtete Affe in der Zirkusmanege, der seiner eigenen Dressur applaudiert und noch den leisesten pseudointellektuellen Furz aus einem Frauenarsch für ein aphrodisierendes Liebesparfüm hält. Jetzt übertreibe ich aber, sagen Sie? Von wegen. Die nächste Strophe liefert den Beweis.

Ist meine Erde eine Scheibe, machst du sie wieder rund.
Zeigst mir auf leise Art und Weise, was Weitsicht heißt.

Wieder geht es recht vergeistigt zu. Die Körpersäfte kochen nicht, sie sind gar nicht vorhanden. Stattdessen wird erneut der anachronistische Mann auf die assoziative Leinwand projiziert, der bis jetzt mit Keule und Fellkleid blöd und doof durch die Gegend gestampft ist und dessen Welt eine Scheibe war. Die Superduper-Wissenschaftlerin aber klärt ihn darüber auf, daß diese rund ist und man die Frau vielleicht nach guter alter Vaterssitte doch besser stundenlang zu einem Fick belabern sollte, anstatt sie einfach lustvoll zu “nehmen”. Und nicht allein das, sie zeigt ihm auch noch, was Weitsicht heißt. Vielleicht hat sie in Wirklichkeit statt Weitsicht Nachhaltigkeit gesagt, aber das ging selbst dem Texter zu weit, weil es sich weniger nach Liebe als nach Parteiprogramm anhörte. Diese Weitsicht jedenfalls zeigt sie ihm “auf leise Art und Weise”, vermutlich in Uniform, einem eisig eingefrorenem Lächeln um die Mundwinkel und einer Reitgerte in der Hand. Der dressierte Liebesaffe in der Manege sieht nun endlich seine Zukunft. Und die sieht ziemlich beschissen aus für ihn. Denn:

Will ich mal wieder mit dem Kopf durch die Wand,
legst du mir Helm und Hammer in die Hand.

Dort in der wunderbarsten aller wunderbaren Männerwelten existiert der entfesselte, spontan seiner Männlichkeit frönende und mit dem Kopf durch die Wand rennende Mann nicht mehr, der früher bei dieser Kopf-durch-die-Wand-Rennerei auch mal zum Mond geflogen ist und, weil Frauen immer so frieren, die Heizung erfunden hat, obwohl alle vorher gesagt haben, das sei unmöglich. Nein, er hat sich jetzt von ihr anschnallen lassen, trägt Helm, nimmt sich Elternteilzeit, trinkt laktosefreien Milchkaffee, hält seinen Pimmel bisweilen für eine Vagina und Margot Käßmann für eine Philosophin, schweift seinen Blick versonnen über eine verspargelte Landschaft voller Windkrafträder und lächelt dabei debil, trägt sein Baby in einem Schal um den Bauch und glaubt Impfungen gegen Kinderkrankheiten seien von der Pharmaindustrie in die Welt gesetzter Schwachsinn, um Kohle zu machen, und deshalb ist er es auch in dieser Zukunft, der immer öfter Migräne hat und “heute nicht kann”. Naja, zumindest hat sie ihm den Hammer gelassen, falls was kaputt geht.

Meine Güte, Sportfreunde, sogar bei einer drittklassigen Schülerband kommen in selbstgestrickten Lovesongs das altbewährte “Oh Baby!” oder “Schmerz” vor. In diesem Genre wird nicht nonstop und wie besinnungslos einer Alten applaudiert, die irgendwelchen soziologischen Müll daherredet, um den Lover von vornherein zu maßregeln und zu erziehen. Vielleicht aber interpretiere ich auch zu viel in die Sache hinein und weigere mich borniert, das Lied als das anzuerkennen, was es letztlich ist, nämlich ein albernes Liebeslied. Die Melodie ist jedenfalls ganz okay, wenn auch nicht gerade genial. Insofern Applaus, Applaus für eure Musik!

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Thomas Bonin / 03.08.2013

Der pure Einluller, kreuzbrav und zum Gähnen langweilig. Dafür wunderbar geeignet als Gig zur Einweihung eines Kinderspielplatzes mit TÜV geprüften und Öko-Siegel-Plaketten übersäten Gerätschaften: für die Muttis von heute eben. Akif, übernehmen Sie ;-)

Hildegard Behrendt / 03.08.2013

Mir fällt nur noch ein: Männer - habt Ihr irgendwelche Probleme? Ja, dachte ich mir. Akif Akif, Dein frauenverachtendes Gewinsel geht mir nur noch am A**** vorbei. Du hast hier mal großartig angefangen, aber nun scheinst Du Dich hier zu verbeißen. Hast Du Liebeskummer?? Gute Besserung, Deine Hildegard

Diethelm Heller / 03.08.2013

Lieber Akif Pirincci, für mich ist es immer wieder ein großes Vergnügen mir Ihre knallige pointierte Sprache einzuverleiben, die mir immer diverse Lacher entlockt und wenigstens für diese Momente dem politischen Alltag der achso wohltemperierten grauen Einöde unserer Jetztzeit zu entkommen. Ist zwar schon 650 Jahre her aber ich denke in diesem Zusammenhang auch gerne an die Gauner- und Balladensprache von Monsieur Villon.

Johannes Ruckelshausen / 03.08.2013

Der Text drückt in wunderbaster Weise Margot-Käsmann-Erotik aus.  

Dr. Katharina Kellmann / 03.08.2013

Herr Pirincci: Suchen Sie sich doch Gegner und keine Opfer! Wieso kann man sich über so ein schmalziges Gesülze den Kopf zerberchen?

Andreas Kadow / 03.08.2013

Klar ist die Melodie genial. Ist ja auch mal eben locker geklaut von Leuten, die es besser können. Nur im Refrain mit einem Pop-Pseudo-Orchester verwurstet. Siehe: Lagwagon - Never Stops

Thomas Frieling / 02.08.2013

Großartiger Kommentar,  aber vergebliche Liebesmüh. Der arme Protagonist in diesem Sie-liebt-mich-ganz-bestimmt-Liebeslied, weiß tief im Innern, daß sie ihn nicht will. Daher idealisiert er sie bis zum Anschlag, anstatt sich endlich die erlösende Abfuhr abzuholen. Schätzungsweise 99% aller unglücklichen Lieben verlaufen so. Jedenfalls kommt es mir bekannt vor.

Olaf Grünberg / 02.08.2013

Deine Textanalyse ist klasse, ich musste mehrmals laut lachen. Leider hast du aber das Thema verfehlt. 6 setzen! Der Song handelt nicht von der Liebe zwischen Mann und Frau. Er handelt von der homoerotischen Zuneigung eines jungen Mannes zu seinem väterlichen Freund, der ihm die Welt erklärt und auf den richtigen Weg führt. Wenn man das berücksichtigt, dann ist der Song, einschließlich Text, gar nicht schlecht.

Weitere anzeigen Leserbrief schreiben:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Akif Pirincci / 21.08.2013 / 08:15 / 10

10 Prophezeiungen von MESSIAS für nächsten 10 Jahre (Nr. 5)

Eigentlich heiße ich anders, doch da mich unlängst Gottes heiliger Atem umweht hat und ich zu der höchsten Erleuchtungsstufe aufgestiegen bin, werde ich nur noch…/ mehr

Akif Pirincci / 17.08.2013 / 20:42 / 7

Schizoscheiße

Als Pubertierende hatten wir für Kunstwerke, die sich uns nicht sofort und direkt erschlossen oder eine abseitige Darstellungsform als die konventionelle bevorzugten, einen lustigen Ausdruck:…/ mehr

Akif Pirincci / 23.07.2013 / 07:40 / 13

10 Prophezeiungen von MESSIAS für die nächsten 10 Jahre (Nr.2)

Eigentlich heiße ich anders, doch da mich unlängst Gottes heiliger Atem umweht hat und ich zu der höchsten Erleuchtungsstufe aufgestiegen bin, werde ich nur noch…/ mehr

Akif Pirincci / 22.07.2013 / 22:52 / 5

Titel Thesen Staats-TV

Viele Leser dieses Blogs denken bestimmt, Mensch, bei der ACHSE DES GUTEN sitzen nur Genies rum! Die göttliche Schreibe der Autoren und Autorinnen, dieser Witz…/ mehr

Akif Pirincci / 20.07.2013 / 22:33 / 6

10 Prophezeiungen von MESSIAS für die nächsten 10 Jahre (Nr.1)

Eigentlich heiße ich anders, doch da mich unlängst Gottes heiliger Atem umweht hat und ich zu der höchsten Erleuchtungsstufe aufgestiegen bin, werde ich nur noch…/ mehr

Akif Pirincci / 06.07.2013 / 21:16 / 3

Breaking News

Wir unterbrechen unser laufendes ACHSE-Programm für eine sensationelle Nachricht: Endlich ist der neue Runfunkstaatsvertrag des SWR von den Landesregierungen von Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz unterschrieben worden,…/ mehr

Akif Pirincci / 28.06.2013 / 11:55 / 0

Evolution im Wohlfahrtsstaat

Warum nicht einmal Wikipedia zitieren: “Als Baldwin-Effekt wird ein evolutionärer Mechanismus bezeichnet, bei dem ein ursprünglich durch Lernen erworbenes Merkmal durch natürliche Selektion innerhalb mehrerer…/ mehr

Akif Pirincci / 22.06.2013 / 19:42 / 0

Liebes Facebook,…

ich wurde heute schon zum zweiten Mal in diesem Jahr für einen Monat lang auf deiner Plattform gesperrt, ohne mir den Grund hierfür erklären zu…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com