Oh, dieses Kribbeln in den Fingerchen! Man möchte alles anfassen, alle Stoffe wenigstens einmal berühren, vor allem wenn sie so faszinierend abwegig aussehen. Die alte Dialektik des Zeigens und Verbergens, die den Textilien eingeschrieben ist, bekommt eine ganz neue Dimension, wenn es nicht um Kleidermode geht, sondern um Heimtextilien. Heimtextilien sind sozusagen die Unterwäsche eines Hauses; Gardinen, Teppiche und Bettzeug schaffen den intimen Touch, ohne den das Mobiliar kalt und krude wirken würde.
Doch genauso wie die Kleidermode, sind auch die textilen Ausstattungen der Räume dem Zeitgeist und seinen jeweiligen Affekten unterworfen. Damit diese Konjunkturen des Geschmacks von der Industrie marktgerecht übersetzt werden können, laufen lauter Designer mit Trendforscherblick durch die Frankfurter Messe. Man sieht es ihnen sofort an, daß sie die Spürhunde der Zukunft sind – oder zumindest, daß sie davon überzeugt sind. Einer ihrer Gurus ist der Holländer Gunnar Frank, Mitglied der International Color Authority in London, die immer 22 Monate im voraus verkündet, welche Farben „in“ sein werden.
Frank teilt alles in Komplexe ein und gibt ihnen fabelhafte Bezeichnungen wie „Constructive Power“ oder „Futurism Dawn“. Der Mann veranstaltet vor vollen Vortragssälen ein professorales Pfingsten; er redet in Zungen. Er sagt: „2006 war Blau die große Farbe – sie wird nun abgelöst von Gelb“. Und ein paar Atemzüge später sagt er: „Blau ist wieder ein großes Thema; es kommt zum Revival von Dunkelblau.“
In dieser fürchterlichen Welt des Marketing-Gequassels hängen und liegen still und stumm die Stoffe, mit denen wir unsere Lebenswelt einrichten. Da gibt es elfenartig Zartes und grotesk Metallisches, hingehauchte Muster und skurrile Formen – ein ständiges Verwirrspiel mit dem Auge und dem Tastsinn. Manche Wandbehänge denen gleichzeitig dem Schallschutz, sind antibakteriell und bestehen aus selbstleuchtendem Gewebe. Doch was heißt schon Gewebe? Da wird gelöchert und geschlitzt, geschrumpft, gekräuselt und gedehnt, lackiert, verfilzt und mit auflösbaren Trägerfolien hantiert, was immer die Physik hergibt.
Der Zusammenprall von Heimtextilien und Hochtechnologie hat für die Wohn-Ästhetik ungeahnte Möglichkeiten eröffnet. Dabei ergibt sich das schöne Paradox, daß die avantgardistischsten Stoffe besonders traditionelle Herstellungsmethoden verlangen – etwa auf uralten Webstühlen, denn die modernen spulenlosen laufen viel zu schnell, um beispielsweise Metallfäden aus Eisen, Messing oder Kupfer mitzuverarbeiten.
Doch während die Materialentwerfer einander gegenseitig überbieten – was will der trendbewußte Kunde heutzutage unbedingt haben? – Stuhlhussen wie zu Großmutters Zeiten, als die Möbel in der guten Stube nur sonntags in Gebrauch genommen wurden!