Die Wahlsieger haben sich überraschend friedlich und einvernehmlich die Spitzenämter des Parlaments aufgeteilt. Profihaft, wie die von ihnen kritisierte abgewählte Systempartei Partito Democratico. Das Berlusconi-Bündnis aus Lega, Forza Italia und den Neofaschisten und die Liste des Kabarettisten Beppe Grillo, die Cinque Stelle, besetzten mit ihren Vertrauensleuten die Parlamentsführung. Acht Vizepräsidenten, sechs Quästoren und 12 Sekretäre gingen an die beiden Sieger-Blöcke. Die übrigen Parteien gingen leer aus.
Seit gestern verhandelt Staatspräsident Mattarella erstmals mit den Parteien über die Bildung der neuen italienischen Regierung. Drei Verhandlungstage sind angesetzt. Am 9. April wird er seine Entscheidung bekannt geben. Leicht wird er es nicht haben. Lega-Chef Matteo Salvini beansprucht für den Berlusconi-Block die Bildung der Regierung. Für den Spitzen-Kandidat der Cinque Stelle, Luigi Di Maio, ist es klar, er soll der künftige Ministerpräsident werden.
Neue Umfragen liegen vor, Di Maio fühlt sich bestätigt. Die Cinque Stelle erhalten weiter Zuspruch und liegen derzeit bei 34%. Auch die Lega und überraschenderweise sogar der Partito Democratico legen zu, auf jeweils 20 Prozent. Die Berlusconi-Liste Forza Italia rutscht ab. Eine Mehrheit der Befragten wünscht sich Di Maio als Ministerpräsidenten, dahinter folgen der geschäftsführende Ministerpräsident Gentiloni vom Partito Democratico und der Lega-Chef Salvini.
In den Umfragen wünschen sich die Italiener als erste Regierungsmaßnahme eine radikale Steuerreform – 12% Steuer für alle Bürger, egal ob Alleinerzieherin, Metallarbeiter, Angestellter, Nachtclubbesitzer, Immobilienmakler oder Medienmogul, dazu das Bürgereinkommen, die Abschaffung der Rentenreform und eine drastische Einschränkung der Zuwanderung.
Lief die Wahl der Parlamentsspitzen ungewohnt harmonisch ab, ziehen die beiden Blöcke jetzt wieder klare rote Linien. Di Maio von den Cinque Stelle bietet Salvini an, gemeinsam die Regierung zu bilden. Natürlich mit ihm, Di Maio, als Ministerpräsidenten. Elf Millionen Italiener, argumentiert Di Maio, haben ihn gewählt. Deshalb sei das Amt des Ministerpräsidenten nicht verhandelbar. Im Gegenzug soll die Lega die wichtigsten Ministerien erhalten. Innen, Verteidigung und Wirtschaft. Di Maio zog noch eine zweite rote Linie ein, in seiner Regierung werde es keine Forza Italia-Minister geben.
Berlusconi ist genervt
Berlusconi reagierte genervt auf diese Ansagen. Für ihn ist es unvorstellbar, dass Di Maio Regierungschef wird. Auch Salvini von der Lega legte sich quer. So nicht, kommentierte er die Ansagen von Di Maio. Verärgert wies Salvini auch das Veto von Di Maio gegen mögliche Minister von Forza Italia zurück.
Der Staatspräsident muss seine ganze Verhandlungskunst aufbieten, um Brücken zwischen Di Maio und Salvini zu bauen. Beide wollen regieren, beide pochen auf die Reinheit ihrer Bewegungen. Wird die Lust an der Reinheit von der Lust am regieren verdrängt werden? Di Maio und Salvini wollen diese Republik verändern, deshalb wurden sie auch von der Mehrheit der Italiener gewählt, als Alternativen für Italien. Im Parlament exerzierten sie vor, dass es gehen kann, auch wenn man sich gar nicht über den Weg traut.
Allerdings, bis jetzt ging es nur um Krümel, ums Repräsentieren in den beiden Kammern des Parlaments. In Zeiten der Zweiten Republik, vor diesem Wahlgang also, konnte aus der Wahl der Präsidenten des Parlaments abgelesen werden, wohin die politische Reise geht, wer zu wem passt.
Es gibt kein Geld
Zwischen den beiden Systemkritikern gibt es einige Gemeinsamkeiten in Bezug auf Steuersenkungen, die Reform der Pensionsreform, die Armutsbekämpfung und die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens. Die Abwicklung der Pensionsreform soll 140 Milliarden Euro kosten; die Erhöhung der Mindestrenten auf 1000 Euro monatlich etwa 18 Milliarden Euro, weitere 18 Milliarden Euro müssten für das Grundeinkommen eingestellt werden .
Fakt ist, das Geld dafür steht nicht zur Verfügung. Es sei denn, die nicht bezahlten Steuern würden eingetrieben, 200 Milliarden Euro jährlich. Die Bekämpfung der Steuerhinterziehung kommt in den Programmen der beiden Alternativen für Italien aber nicht vor.
Wahrscheinlich wird sich die Lust zum Regieren durchsetzen. Cinque Stelle haben trotz ihres Beharrens auf eine saubere Politik Casellati zur Präsidentin des Senats gewählt. Als Staatssekretärin der Regierung Berlusconi hatte sie versucht, Cavaliere Berlusconi mit einem Sondergesetz Straffreiheit für seine Affären zu verschaffen.
Die Lage ist schwierig. Die Cinque Stelle sind im Süden des Landes die stärkste Partei, die Lega im Norden. Forza Italia hingegen verliert an Zustimmung. Nächste Wahlen stehen an, in den Regionen Molise und Friaul-Julisch-Venetien. Beide Regionen werden noch vom Partito Democratico regiert. In Molise stimmten bei den Parlamentswahlen 45 Prozent für die Cinque Stelle, in Friaul wurde die Lega mit 26 Prozent die stärkste Kraft. Im April werden auch die Bürgermeister der Städte Vicenza, Siena, Pisa, Massa, Terni und Spoleto gewählt. Ob Cinque Stelle und Lega diese Wahlen abwarten?
Staatspräsident Mattarella erinnerte beide Blöcke daran, dass am 12. Mai die Regierung den Haushaltsentwurf verabschieden muss. Der Entwurf enthält das Stabilitätsgesetz, das die Finanzpolitik gemäß EU-Vorgaben regelt und die Regierung zum Sparen verpflichtet. Am 30. April muss das Parlament den Entwurf genehmigen.
Die Bürger der Gemeinden in den süd-italienischen Regionen sind da schon weiter. Sie fordern die Auszahlung der 1.000 Euro, das von den Cinque Stelle versprochene Pro-Kopf-Grundeinkommen. Die Hinweise der verdutzten kommunalen Beamten, wonach es dieses Grundeinkommen noch nicht gebe, ließen die Bürger nicht gelten. Sie haben Cinque Stelle gewählt und die haben das Grundeinkommen versprochen. Wird Di Maio Ministerpräsident, dann werden wohl Milch und Honig für alle fließen.