Bernhard Lassahn / 29.06.2011 / 07:29 / 0 / Seite ausdrucken

Alle Griechen leben in Athen,  der Feminismus hat immer Recht

Nachher sitzen alle noch zum Essen beisammen und lauschen einer Lesung: Es regnet in Strömen, ein Autofahrer sieht eine patschnasse Frau an einer Kreuzung und zu den Klängen eines wütenden Hupkonzertes bittet er sie einzusteigen: sie streicht den Rock glatt und lächelt dankbar: „Ich kann euch sagen, Freunde, für diesen Augenblick hatte es sich gelohnt, 68 Jahre durchgehalten zu haben.“

Das kommt gut an. Man spürt deutlich: So etwas mögen die Zuhörer. Wir sind beim 2. Internationalen Antifeminismus-Treffen in Winterthur. Diesmal gibt es ein „Sensatiönli“: Die Bösen treffen die Guten, die offiziellen Vertreter des Themas treffen die inoffiziellen. Markus Theunert, der so etwas noch im Vorjahr abgelehnt hat, hält ein Referat, das er „Provokation“ nennt. So wie er redet und auftritt, fällt es schwer, irgendetwas gegen ihn zu haben. Man muss ihn einfach mögen. Er ist der Präsident von männer.ch und wagt sich nun „in der Höhle der Löwen“ – so der Tenor der Darstellung in den Pressemeldungen vorab und vor laufenden Kameras. Die sind inzwischen abgebaut. Die Teller sind auch weggeräumt.

Man könnte sagen, dass nun alle an dem berühmten runden Tisch sitzen - wenn sie sitzen würden, und wenn da ein runder Tisch wäre. Sie stehen vielmehr locker im Kreis, der sich spontan gebildet hat. Es sieht von weitem aus, als wäre es ein gruppendynamisches Spiel, es fehlt noch, dass bunte Bälle hin und her geworfen werden. Theunert ist gegen das „Anti“ der Antifeministen, mehrmals spricht er von „Tonlage“.

Falls jemand die klischeehafte Vorstellung hat, dass die Schweizer irgendwie höflicher sind und eine andere Debattenkultur haben, dann würde sich die Szene nicht gerade als Gegenbeweis anbieten. Auf deutsche Verhältnisse übertragen, kann ich mir so eine Art der Diskussion nicht so richtig vorstellen. Die Löwen beißen nicht. In vielen Punkten sind sich die Schweizer einig; Theunert findet allerdings, dass der „Staatsfeminismus“, gegen den die Antifeministen angehen, nur ein „Phantom“ ist. Na gut. So kann man sich näher kommen: Die einen finden, dass es ein Phantom ist, für andere ist es eine Krake. Wie können sich die Schweizer dagegen wehren?

Sie sind wehrhaft. Es fällt mir jetzt erst auf: In der Dekoration der Deckenlampen ist immer wieder das Motiv einer Armbrust verarbeitet, und wenn man genau hinschaut, sieht man dünne Pfeile, die einen Apfel aufspießen. „Den Feminismus gibt es sowieso nicht“, sagt Theunert mit Betonung auf „den“ und zielt damit abermals auf das generalisierende „Anti“. Ich finde auch: Man soll nicht verallgemeinern.

Vielleicht hilft ein kleines Denkspiel: Alle Athener sind Griechen: Richtig. Alle Griechen sind Athener: Falsch. Alle Feministen sind Frauen: Richtig. Alle Frauen sind Feministen: Falsch. Also: Wer verallgemeinert richtig? Wer falsch?

Es ist nämlich eines der Kennzeichen des Feminismus, dass er unzulässig generalisiert, alle Frauen in einen Topf wirft und alle Männer in die Tonne tritt. Und wenn wir schon über Pauschalisierung reden, und wenn wir bei der Gelegenheit in der Schweiz sind, sollte auch die Frage erlaubt sein: „Und wer hat’s erfunden?“

Das erste Antifeminismustreffen im Vorjahr war ein Paukenschlag gewesen. Es hatte Drohungen gegen die Veranstalter gegeben, eine Gegen-Demo, die Tagung musste an geheimem Ort unter Polizeischutz stattfinden. Diesmal war es ruhiger, wenn man davon absieht, dass auf der Toilette Schmierereien waren, und dass der Präsident der Antifeministen mit einem Gummigeschoss angegriffen wurde. Acht Vermummte wurden von den Ordnungskräften abgewiesen. Dennoch: Es war insgesamt weniger spektakulär, weniger gut besucht. So war auch ein erster missgünstige Pressekommentar: „Der Spuk ist vorbei“. Der Schwung ist raus.

Oder auch nicht. Den Schwung gibt es nun in einem Briefumschlag, der an jedem Platz auslag. Inzwischen haben die Antifeministen in 13 Punkten zusammengefasst, wogegen sie sich richten. Es wirkt holzschnittartig, die Tonlage hätte ich anders gewählt, aber ich mag diese Textsorte sowieso nicht – also: Sie wollen u.a. eine Neubewertung der Frauenhäuser und der Gender-Studies, eine Reform des Scheidungsrechtes, sie sind gegen Quoten, gegen frühkindliche Sexualerziehung und – Punkt 13 – gegen den Sprachfeminismus. Mein Thema.

Damit wird erstmalig ein gemeinsamer Nenner erkennbar, der wahrscheinlich von vielen nicht gesehen - ja, nicht einmal vermutet wird -, der aber hinter all den verschiedenen Baustellen lauert: Überall schimmert eine Weltanschauung hervor, die man sehr wohl Feminismus nennen kann. Damit haben wir eine erste Definition. Damit kann man anfangen. Vielleicht ist immer noch jemand unzufrieden und meint, dass man deshalb noch lange nicht von „dem“ Feminismus sprechen kann, aber es gibt jetzt immerhin eine kleine Liste.

Die Kritik, die bei jedem dieser Punkte geäußert wird, könnte von vielen geteilt werden – zumindest sollte allgemeine Zustimmung darüber herrschen, dass man wenigstens mal darüber reden kann. Doch wie ein Rettungsschirm spannt sich – Achtung! Es folgt ein merkwürdiges Wort – die „Unhinterfragbarkeit des Feminismus“ über alle Mängel. Wie in Ländern, in denen nicht zwischen Religion und Politik getrennt wird und somit die Politik nicht kritisiert werden kann, weil das sofort als Angriff auf die Religion gewertet würde, so wird in der Schweiz (und nicht nur da) eine Kritik an der Politik abgewürgt, wenn damit das Ideal des Feminismus in Frage gestellt wird. Das kennen wir. Entsprechend gilt das auch für das Ideal des Gutmenschen, des Sozialstaates, des Umwelt- und Klimaschutzes oder der Nachhaltigkeit. Doch ich will nicht verallgemeinern und abschweifen, ich wollte nur mal kurz einen Blick über den Tellerrand werfen.

Der Feminismus hat sich inzwischen durch die Quoten fest in der Politik verankert und ist von da aus in die Wissenschaft eingedrungen. Und in die Medien. Die Zustände in Athen können noch so laut zum Himmel schreien, die Griechenland-Politik ist richtig, sie ist ein Erfolgsmodell. Das ist der Konsens. Der Feminismus hat immer Recht. Alle Griechen leben in Athen.

Noch mal ein Blick auf die Liste. In welcher Reihenfolge lesen wir die? Normalerweise von vorne nach hinten. Ich bin nicht normal. Natürlich lese ich auch von vorne nach hinten - von links nach rechts -, aber Geschichtenerzähler sind es gewohnt vom Ende auszugehen und auf das hinzuführen, was sie schon von Anfang an im Kopf hatten.

Letzter Punkt: Sprachfeminismus. Klarer Fall: Ich bin dagegen. Ich kann das erklären. Ich trete gegen jeden an, der es „gerecht“ nennt, wenn wir „Sparerinnen und Sparer“ sagen und gegen jeden, der vorschlägt, dass wir „Studierende“ sagen sollen statt „Studenten“ (neulich habe ich gelesen, dass die „Teilnehmenden“ eines Kongresses etwas veröffentlicht haben und da fragte ich mich sofort, ob es nicht korrekterweise „Teilgenommenhabenden“ heißen müsste). Gerade durch eine Betrachtung der Sprache lässt sich beweisen, dass es der Feminismus ist, der eine falsche Verallgemeinerung als Voraussetzung in seinem Auftreten versteckt hat und nun immer mehr ins Totalitäre abgleitet.

Sprechen müssen wir alle, wenn wir nicht zu den Pantomimen überlaufen wollen. Bei den anderen Punkten der Liste tut es zwar viel stärker weh, wenn es einen trifft, die Folgen sind auch viel schlimmer, aber da sind jeweils nur wenige - und immer andere - betroffen. So mancher mag sich denken: Na ja, mag schon sein, tangiert mich aber nicht. Und wenn man nun immer weiter von hinten nach vorne liest, wird die Zustimmung zu der Kritik immer weiter abnehmen oder einfach als offene Frage ungelöst im Raum stehen bleiben, bis man schließlich bei Punkt 1 angekommen ist, der Forderung nach vollständiger „Beseitigung der feministischen Ideologie aus Politik und Öffentlichkeit“.

Schweres Geschütz. Da kann man schon verstehen, dass nicht nur Theunert den Ton bemängelt; ich vermute, dass er von vorne nach hinten gelesen hat und schon beim ersten Satz abgeschreckt war. Bei so einem Geschoss wird sich wohl auch so mancher in seinen (pseudo-) religiösen Gefühlen verletzt fühlen. Nun kann man auch nachvollziehen, wie es kommen konnte, dass der Vorwurf „totalitär“ zu sein, mehrfach hin- und hergekickt wurde. Denn die Sprache des Antifeminismus unterscheidet sich nicht von der Sprache des Feminismus. Sie ist wie die Prosa von Karin Struck.

Erinnert sich noch jemand an die einst hoch gelobte Autorin? Peter Handke schrieb allerdings damals schon, dass ihre Texte den „Ozean zwischen den Menschen vergrößern“ (so sagte er es und zitierte Franz Kafka) – und warum? Karin Struck diskreditiert ihre Figuren, ehe sie überhaupt auftreten. Die Wertung – in diesem Fall die pauschale Verurteilung – erfolgt viel zu schnell. Zu schnell für Literatur. Der Leser wird bevormundet, er kann sich nicht selber eine Meinung bilden. Am Anfang steht nicht nur das Wort, am Anfang steht das Vorurteil.

Das Problem ist, dass sich die Antifeministen kaum anders äußern können. Sie müssen sich nun mal der Sprache bedienen; es „tönt“ bei ihnen zwar immer ein wenig anders, aber es ist trotzdem Deutsch - ein Deutsch, das inzwischen einer „linguistischen Therapie“ ausgesetzt war. Der Sprachfeminismus steht nicht erst am Anfang. Er hat sich lange im Hintergrund gehalten, sich immer stärker vorgedrängelt und inzwischen einen hohen Punkt – vielleicht den Höhepunkt – erreicht. Wir sind einer Dauerberieselung durch unterstellte Verallgemeinerungen ausgesetzt, wir sind patschnass. 

Man muss sich auch fragen, wie man die Missstände in Athen beheben kann, ohne die Griechenland-Politik zu kritisieren. „Es gibt kein richtiges Leben im falschen“. Als ich vor vielen Jahren auf diese berühmte Formel stieß, war ich gerade dabei, meine Studentenbude zu tapezieren und dachte: Stimmt. Man kann keine gerade Bahn in einem schiefen Zimmer ankleben. ‚Es gibt kein richtiges Leben im valschen’, heißt ein Buch von Robert Gernhardt, aber da ist dem Verlag womöglich ein Fehler unterlaufen. Hanns Dieter Hüsch sagte: „Ich möchte im Kleinen vernünftig sein, wenn auch das Ganze verkehrt ist.“

Die Antifeministen wollen es versuchen: Sie kandidieren im Herbst für den Nationalrat und wollen so in der ein oder anderen Polis Einfluss ausüben. Aber ich glaube, sie werden dabei ihrer Auffassung treu bleiben und weiterhin verkünden, dass sie die Griechenland-Politik (damit meine ich natürlich die feministische Ideologie – schon klar, „oder?“) für falsch halten. Und für valsch. 

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