Ludger Weß
Die in der vorigen Woche publizierte „alarmierende“ Rattenstudie („GMOs und Roundup sind giftig und verursachen Krebs“) erweist sich immer mehr als Desaster für Gilles-Eric Séralini, ihren Initiator und Autor. Séralini entwickelt sich - entgegen meinen Voraussagen - nicht zum neuen Helden der Gentechnikgegner. Der Schock über die schlecht gemachte Studie und das PR-Desaster, das er durch trübe Finanzierungsquellen, unprofessionellen Umgang mit Journalisten und Kollegen aus der Wissenschaft und durch allzu zu offensichtliches Timing seiner Veröffentlichung angerichtet hat, scheint auch bei Gentechnik-nein-danke NGOs tief zu sitzen.
Bislang hat sich noch keiner ihrer Experten zu Wort gemeldet, um Séralini und seinen Co-Autoren sachkundig beizuspringen. Mühsam versuchen seine Unterstützer, einzelne Kritiker herauszupicken und sie durch angebliche Nähe zur Industrie zu diskreditieren - als ob man sich dann mit ihren Argumenten nicht mehr auseinandersetzen müsste.
In der Fachwelt ist die Kritik einhellig und zum größten Teil vernichtend. Kein einziger der von den Medien befragten Toxikologen oder Statistikern lässt ein gutes Haar an der Studie.
Die Autoren des „Academics Review“, einer Webseite, die sich der Kritik an ungenügend abgesicherten und nicht untermauerten Aussagen von Wissenschaftlern verschrieben hat, schreiben sogar, dass sie in diesem Fall nicht abwarten wollen, bis die Experten ihres Netzwerks ihre Analyse des Papiers vorgelegt haben:
„...wir haben uns zu diesem Schritt entschlossen, um auf die grobe Verletzung nicht nur von wissenschaftlichen Standards (d.h. richtiges Design von Experimenten und Analyse), sondern auch der wissenschaftlichen Ethik, von Tierschutzstandards und der journalistischen Ethik zu antworten, derer sich Seralini, seine Co-Autoren sowie die Redakteure und Herausgeber der Fachzeitschrift objektiv schuldig gemacht haben. Der Codex wissenschaftlicher Ethik sagt eindeutig, dass Wissenschaftler, die Fehlverhalten verschweigen, selbst einen Fehltritt begehen. Eine Analyse des Papers, die ihrerseits Peer Review unterliegen wird, folgt.“ http://academicsreview.org/2012/09/scientists-smell-a-rat-in-fraudulent-study/
Séralini empört seine Fachkollegen auch mit der Weigerung, seine Daten öffentlich verfügbar zu machen - schon gar nicht der für Lebensmittelsicherheit zuständigen Behörde EFSA. Das lehnt er mit der kuriosen Begründung ab, die dort beschäftigten Wissenschaftler hätten an der Genehmigung mitgearbeitet. Mittlerweile gibt es bereits eine elektronische Petition, die Séralini zur Offenlegung seiner Daten auffordert.
Weitere Details zur Finanzierung der Studie und zur sorgfältigen Orchestrierung von Studie, zwei Büchern und einem Dokumentarfilm, werfen jetzt interessante Fragen hinsichtlich der Verflechtung von dubiosen wissenschaftlichen Ansätzen und handfesten politischen und kommerziellen Interessen der französischen Wirtschaft und der Regierung auf.
Lauter Zufälle…
Am 19.9. frühmorgens wird Séralinis Studie durch einen exklusiven, reißerisch geschriebenen Artikel im Nouvel Observateur bekannt gemacht; am Nachmittag hält Séralini eine Pressekonferenz in London ab. Journalisten hatten die Publikation vorab nur erhalten, wenn sie sich verpflichteten, die Studie und deren Inhalt nicht mit anderen Fachleuten zu diskutieren.
Bereits um 15:00 Uhr und parallel zu Séralinis Pressekonferenz geben drei französische Ministerien (für Landwirtschaft, für Soziales und für Umwelt) eine gemeinsame Presserklärung heraus, in der sie u.a. die „notfallmäßige Aussetzung der Importgenehmigung“ für gentechnisch veränderten Mais verlangten - eine Meisterleistung an Abstimmungsprozessen der ansonsten für ihre Schwerfälligkeit bekannten französischen Staatsbürokratie.
Am Tag darauf, dem 20.9., veranstaltet Séralini im Europäischen Parlament eine Pressekonferenz mit Corinne Lepage, seiner langjährigen Mitstreiterin bei CRIIGEN. Die ehemalige französische Umweltministerin war CRIIGEN-Mitgründerin und Vorsitzende der Organisation, bis sie 2009 Mitglied des Europäischen Parlaments wurde. Zufall oder nicht: einen Tag später, am 21.9., einem Freitag, erscheint ihr Buch „Die Wahrheit über GMOs“ im Verlag der Fondation Charles Leopold Mayer, die Séralinis Studie mitfinanziert hatte.
Da trifft es sich - sicherlich ein weiterer Zufall -, dass Carrefour am Montag, 24.9. eine große Werbekampagne für seine GMO-freie Produktreihe beginnt. Greenpeace Frankreich hatte Carrefour zuvor kritisiert, weil die Kette von allen französischen Supermärkten die meisten gentechnisch modifizierten Produkte in seinem Sortiment führte.
Am 26. 9. erscheint Séralinis Buch „Tous cobayes! - Wir sind alle Versuchskaninchen!“ und parallel dazu der fast gleichnamige Film „Tous cobayes? Sind wir alle Versuchskaninchen?“ von Jean-Paul Jaud, dessen für den April geplanter Start verschoben wurde, weil da „noch eine Bombe platzen“ würde, wie der Filmemacher Journalisten vorab versicherte.
Ebenfalls am 26.9. fordert die EU Kommission EFSA auf, die Séralinis Studie zu begutachten.
Für den 27.9., ist eine weitere Pressekonferenz von Frau Lepage angekündigt, diesmal in Paris, und am selben Tag wird in Brüssel erneut über die Zulassung der Genmais-Sorte MIR162 von Syngenta entscheiden. Bei einer ersten Abstimmung am 10. September hatte es weder für noch gegen die Zulassung der insektenresistenten Maissorte zur Verwendung in Tierfutter und Lebensmitteln eine ausreichende Mehrheit gegeben.
Und Ende des Jahres muss die EU-Kommission eigentlich eine Entscheidung über die Zulassung von EU-Kommission von drei gentechnisch veränderten Maislinien -MON810, Bt11 und 1507 - entscheiden: im Juni hatte sie auf Druck u. a der deutschen und der französischen Regierung die wissenschaftlichen Stellungnahmen der EFSA an die Behörde zurückverwiesen.
Tiefe Taschen
Studie und Medienkampagne kosteten etwa 3,2 Mio. €, davon wurden 1,5 Mio. € durch CERES bereit gestellt und 0,9 Mio. € durch die „Fondation Charles Leopold Mayer pour le progrès de l’homme“. Die Finanzquelle für die restlichen 0,8 Mio. € ist bislang nicht bekannt. Das Geld floss zum größten Teil über CRIIGEN (Committee for Research & Independent Information on Genetic Engineering), eine von Séralini mitgegründete gentechnikkritische Organisation. http://www.prg-poitou-charentes.org
Die ominöse Vereinigung CERES, die keine Webseite besitzt (nicht identisch mit http://www.ceres.org), wurde auf Initiative von Gérard Mulliez, dem Gründer von Auchan, Frankreichs zweitgrößter Hypermarktkette gegründet. Den Vorsitz führt Jacques Dublancq, ehemaliger Leiter des zentralen Einkaufs von Auchan. Wie französische Medien vorab aus Séralinis Buch berichten, wurde das Geld über CRIIGEN geschleust, weil Séralini nicht direkt von einer großen Supermarktkette gesponsort werden wollte. http://tempsreel.nouvelobs.com/ogm-le-scandale/20120918.OBS2789/ogm-quand-la-grande-distribution-finance-une-etude-choc.html
Mulliez sagte dem L’Express in einem 2008 veröffentlichten Interview, er stehe auf dem Standpunkt, gentechnisch veränderte Nahrungsmittel sollten aufgrund ihrer Risiken verboten werden.
Auch Konkurrent Carrefour beteiligte sich am Sponsoring von CRIIGEN und Séralini. Die Hypermarktkette unterstützte CRIIGEN von 2001 bis 2010 und hatte lange Zeit einen Sitz im Vorstand.
Über den Hintergrund der Stiftung Leopold Mayer, die 2010-2011 über ein Jahresbudget von 21,3 Mio. € verfügte, ist nichts bekannt. Sie finanziert neben CRIIGEN u.a. das gegen gentechni aktive European Network of Scientists for Social and Environmental Responsibility (ENSSER), den deutschen Verein Gentechnikfreies Europa e.V, Combat Monsanto und mindestens 10 andere Organisationen von Gentechnikgegnern unterstützt.
Wie viel Geld die französische Regierung beigesteuert hat, die in der Studie ebenfalls als Sponsor geführt wird, ist bislang nicht bekannt.
Viele Fragen
Es stellen sich also einige Fragen:
Warum unterstützen mächtige Supermarktketten Gentechnik-Kritiker? Um mehr Profite mit Gentechnik-freien oder Bio-Waren zu erzielen? Um ihre Reputation zu verbessern?
Hat die Regierung die Studie mitfinanziert? Gab es andere Spender, die die 0,8 Mio € beisteuerten, deren Herkunft bislang nicht geklärt ist?
Hat die französische Regierung womöglich ein protektionistisches Interesse daran, die eigenen Landwirte vor Konkurrenz aus dem GMO-freundlichen Ausland zu schützen?
Will die französische Regierung die für die Beurteilung von GMOs zuständige Behörde EFSA diskreditieren? EFSA ist mehreren europäischen Regierungen wegen seiner nüchternen Beurteilung der Risiken von GMOs schon seit langem ein Dorn im Auge und die französische Regierung hatte EFSA wiederholt vergeblich aufgefordert, mehr Tierversuche zur Risikobeurteilung von GMOs zu unternehmen.