Gunnar Heinsohn / 13.06.2013 / 20:49 / 0 / Seite ausdrucken

Ägyptens kommende Nilschlacht

1929 garantiert Grossbritannien, dass bei neuen Vorstössen zur Nutzung des Nilwassers vorab immer in Ägypten und Sudan, also in London angefragt werden muss und gegen Einspruch von dort nichts geändert werden darf. Damals ist Ägypten Halbkolonie und beherbergt gerade mal 14 Millionen, der anglo-ägyptische Sudan sogar weniger als 7 Millionen Einwohner. Das Nilwasser wird diesen 20 Millionen reserviert, weil die Angst längst da ist, dass es knapp werden könnte.

Deshalb werden 1929 acht weitere Nil-Länder nicht einmal konsultiert: Äthiopien (damals 15 Millionen Einwohner), Eritrea (0,5 Mill.), Kenia (3 Mill.), Uganda (3,3 Mill.), Burundi (2 Mill.), Ruanda (1,5 Mill.),Tansania (5 Mill.) und Kongo/Kinshasa (7 Mill.). Die Ländergruppe verfűgt nur űber 37 Millionen Menschen (ein heutiges Polen) und hat Zugang zu anderen Wasserqellen.

70 Jahre später, im Jahre 1999, als das Weltreich besiegt und der Kolonialismus Vergangenheit ist, können die acht Ausgeschlossenen auf das Nilwasser nicht mehr verzichten. Ihre Bevölkerungen sind ungeachtet kaum endender Massaker, Bűrgerkriege, Kriege und Völkermorde von 37 auf 220 Millionen hochgeschossen. Nicht nur fűr Vieh und Felder, sondern auch fűr Industrien und 1929 noch unvorstellbare Komforttechniken brauchen się Wasser. Doch Ägypten und der Sudan können jetzt erst recht nichts hergeben,denn bei ihnen wollen nicht mehr nur 20, sondern űber 90 Millionen Menschen an das kostbare Nass. Deshalb verweigern sich die beiden der von Äthiopien initiierten und von der Weltbank anfinanzierten Nile Basin Initiative. In dieser Ablehnung steckt nicht nur die Angst vor Wasserverlust, sondern auch eine gehörige Portion Hochmut. Man traut den sűdlichen Nachbarn schlicht nicht zu, die Infrastruktur fűr die Wasserabzweigung zustandebringen.

Doch knapp 15 Jahre später, im Mai 2013, beginnt Äthiopien mit der Umleitung des Blauen Nil, um Afrikas grössten Staudamm fűr 6.000 Megawatt Leistung zu errichten (entspricht sechs grossen Atomkraftwerken). Am 10. Juni 2013 verkűndet Ägyptens Präsident Morsi im Parlament: „Wenn Ägypten ein Geschenk des Nils ist, dann ist der Nil ein Geschenk an Ägypten.” Die ohne Wissen der Beteiligten im Fernsehen űbertragene Debatte bringt von links bis rechts und von weltlich bis salafistisch jede Menge Einfälle von der Bombardierung des Great Ethiopian Renaissance Dam űber die Hilfe fűr Separatisten bis hin zum offenen Angriffskrieg. Die Abgeordneten demonstrieren helle Panik.

2013 aber kann erst recht niemand nachgeben. Bei den benachteiligten Acht wollen mittlerweile 325 Millionen auch pro Kopf immer mehr Wasser, während die beiden Altprivilegierten kaum weniger imponierende 130 Millionen in die Schlacht werfen können. Wo 1929 nicht einmal 60 Millionen den Nil anzapfen, sind es im nächsten Jahr 460 Millionen.

Äthiopien zeigt sich wenig verängstigt von Ägyptens „psychologischer Kriegsfűhrung”. Man tut się ab als Manöver zur Ablenkung von inneren Problemen. Sicherheitshalber erinnert man aber an seine Tradition, sich „allen Mächten des Bösen” immer erfolgreich widersetzt zu haben. Auch heute ständen die Streitkräfte bereit, jeden Angriff zu ersticken. Morsi redet daraufhin von einem „freundlichen Nachbarn”mit Recht auf Entwicklung, lässt aber ausdrűcklich „alle Optionen” auf dem Tisch.

Gewaltsame Auseinandersetzungen sind nicht mehr eine Frage des Ob, sondern nur noch des Wann. 2050 műssen sich 9 Milliarden Menschen die Erde teilen. Nicht mehr knapp 60 Millionen wie 1929, sondern 970 Millionen wollen dann den Nil in ihre Kanäle leiten – 735 Millionen davon in Schwarzafrika und 235 Millionen in Ägypten und Sudan.

Morsi hat sich in eine delikate Lage manövriert. Gern wűrde er die Juden Israels vernichten – fűr ihn sind sie „Abkömmlinge von Affen und Schweinen”, Aber dann gäbe es plötzlich weit mehr Wasser als gewűnscht. Denn der Assuan-Staudamm flöge in die Luft und eine Megawelle hätte freie Fahrt bis runter nach Alexandria. Und noch liegt von Gűnter Grass kein schűtzendes Gedicht vor. Auch ein Sieg űber das christliche Äthiopien wűrde imponieren. Dann aber gäbe es womöglich zu wenig Wasser. Denn einen Krieg kann man verlieren. Zwar hat Äthiopien nur 140.000 Mann unter Waffen, während Ägypten 470.000 zählt. Von denen aber sind die meisten in den vielfältigen Geschäftsfeldern des Militars gebunden oder gegen Israel in Stellung. Und nach einem Sieg könnte Addis Abeba an die 280 Millionen Äthiopier von 2050 und nicht nur an die 94 Millionen von heute denken, also ernsthaft damit beginnen, Kairo das Wasser abzugraben. Das kann Morsi nicht ruhiger stimmen, denn 2050 muss auch er nicht mehr nur wie heute 85, sondern 140 Millionen Bűrger versorgen.

Dann doch lieber die Einheit mit Lybien und seinem Erdöl? Aber da műsste er gegen ein „Bruderland” ziehen und auch die Schutzmächte der dort tätigen Bohrgesellschaften im Auge behalten. Weder fűr Ruhm noch fűr wirtschaftliche Entlastung steht es gut. Und der Mordbefehl gegen den Deutschen Hamed Abdel-Samad sowie die Einkerkerung deutscher und amerikanischer NGOler könnte sein Budget noch weiter beschneiden. Gleichwohl muss er sich da noch am wenigsten Sorgen machen. Denn in Berlin und Washington hat man einen Heidenrespekt vor dem frommen Mann.

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