In Warschau verständigt sich die Regierung der Volksrepublik Polen mit Vertretern der zwar nicht mehr verbotenen, aber immer noch nicht offiziell anerkannten Gewerkschaft Solidarnocs auf Gespräche am Runden Tisch. Damit hat das Regime eingestanden, dass es nicht mehr in der Lage ist, seine totalitären Regierungspraktiken fortzusetzen. Merkwürdig bleibt, dass fast allen westlichen Beobachtern verborgen geblieben ist, welch dramatische Veränderung die vereinbarten Runde-Tisch-Gespräche sind.
In der DDR gibt es auch eine Begegnung, allerdings von der alten Art. Wie das „Neue Deutschland“ berichtet, treffen sich die Bauernfunktionäre des Landes zu einer „großen demokratischen Aussprache“, bei der natürlich auch „neue Vorhaben“, d.h. eine Planübererfüllung, verabredet werden. Die Beschlüsse sind schon in der Minute, in der sie gefasst werden, obsolet.
In Sofia habe ich das erste mal seit zwanzig Jahren wieder diesen metallischen Geschmack auf der Zunge, als ich einen Abendspaziergang durch die Strassen mache. Augenblicklich fühle ich mich in die DDR zurück versetzt. Doch die Dunkelheit geht gnädig mit der Stadt um. Es dominieren die erleuchteten Fenster der Geschäfte, der Cafes, Bars und Restaurants. Die zerbröckelnden Fassaden treten dahinter zurück. Allerdings muss ein Spaziergänger immer genau hinsehen, wohin er tritt, denn die Gehsteige sind in einem Zustand, die in Deutschland eine sofortige Sperrung nach sich ziehen würde. Genauso sehen die Straßen aus. Die Ausfallstraße der Stadt in Richtung Rilagebirge und Griechenland ist so löchrig, dass ich mich wundere, wie das Auto das ohne Achsbruch bewältigt.
Heute morgen habe ich im bulgarischen Fernsehen im ersten Schock gefordert, dass die EU ein extra Programm auflegen sollte, damit wenigstens die wichtigsten Straßen des Landes saniert werden können. Wenige Stunden später erfuhr ich, dass EU-Geld für Infrastrukturmaßnahmen da ist und nicht abgerufen werden kann, weil die EU wegen nachweislicher Korruption bei der Auftragsvergabe die Mittel eingefroren hat. Darunter befinden sich auch Zuwendungen aus der Zeit vor dem EU-Beitritt. Die Straßen des Landes könnten längst ganz anders aussehen. Aber die Stasiseilschaften, die offenbar die Wirtschaft des Landes fest im Griff haben, sind nicht daran interessiert, dass sich etwas verbessert, wenn sie nicht daran verdienen können. So lange die alte Nomenklatura in neuer Funktion das Sagen hat, wird dieses schöne Land nicht auf die Beine kommen.