So, so, die Antwort auf Trump ist also mehr Europa, meint Angela Merkel. Die Taktik könnte aufgehen. Natürlich nur in Hinblick auf die Bundestagswahl. Hauptsächlich darum geht es ihr. Die Propaganda dafür läuft bereits auf allen Kanälen. Diese besteht hauptsächlich aus Trump-Bashing und Vorschlägen, wie das europäische Haus verbessert werden könnte. Dass die EU nun nicht das leuchtende Vorzeigeobjekt ist, mit dem man Wahlen gewinnen könnte, dass ist den Taktikern bewusst, also werden die angestrebten Verbesserungen in den Fokus gestellt. Etwa wie Konstruktionsmängel behoben werden könnten und welche Chancen sich daraus ergeben. Es wird die Illusion aufgebaut, dies sei die Antwort auf die drängenden Probleme. Hauptsache, es entsteht ein positives Bild, das sich nicht an der Realität messen muss, da es in der Zukunft liegt. Im Oktober, wenn die Blätter zu fallen beginnen, wird man weiter sehen.
Wäre Trump nicht so unerwartet auf der Bühne erschienen, er hätte erfunden werden müssen, er bietet dem pubertierenden Deutschland die Möglichkeit, erwachsen zu werden. Schon lange sind Abnabelungsprozesse im Gang, die Nachkriegsordnung wird mehr und mehr nur als Vergangenheit empfunden. In der hatten sich die Deutschen eingerichtet, mussten nicht viel über sich selbst nachdenken, ihr Platz war ihnen zugewiesen, sie richteten sich ein darin. Ihre Familie hieß "der Westen".
Westlich wurde die Lebensart, die Werte, das Denken und Fühlen; die Deutschen wurden Westler, wer würde daran zweifeln. Es gab zwar einige meist politisch links verortet, die sich dagegen sträubten, aber das hatte ideologische Gründe. Die Lebensart und das Lebensgefühl berührte es nicht, das war auch bei diesem Personenkreis westlich.
Einer der markantesten Indikatoren dafür ist das Verhältnis von Individuum und Gemeinschaft. Die individuelle Identität gewann gegenüber der kollektiven an Bedeutung und Recht. Zusammengefasst wurde dies unter dem Begriff Freiheit. Im Osten, der DDR, war das freilich nicht ganz so, dort sehnte man sich aber mehrheitlich nach der westlichen Lebensart und dem Lebensgefühl, weshalb wir hier keine Unterscheidung von Ost und West vornehmen brauchen.
Die Suche des Individuums nach einem Kollektiv
Seit geraumer Zeit aber ist das individualistisch freiheitliche Lebensgefühl unter Druck. Einerseits, ganz unpolitisch, durch die Wiederentdeckung der eigenen Mentalität, der Erkenntnis, dass Deutsche eben nicht wie Amerikaner sind, oder wie Franzosen, Italiener, Engländer oder Spanier. Auf der anderen Seite durch die Narrative der Nachhaltigkeit, die in ihrer Konsequenz ein Handeln des Kollektivs verlangt. Wer Anhänger dieser Ideologie ist, weiß, dass er als kleines Rädchen kaum was bewirken kann und nur große Gemeinschaften die gewünschten Ziele erreichen können.
Über die Wiederentdeckung der Mentalität wurde wenig gestritten, sie machte sich nur bemerkbar in der Eurokrise und dem Begriff Südländer. Und im offenen oder latenten Antiamerikanismus sowohl rechts, als auch links. Allerdings ist Antiamerikanismus nur ein Kampfwort, das eine Gegnerschaft suggeriert, die oft gar nicht vorhanden ist. Vielmehr hat es mit der eigenen Verhäuslichung zu tun, die als fremdbestimmt, als Ergebnis der Nachkriegsordnung, empfunden wird und die eigene Mentalität nicht genügend gewürdigt sieht. Man schaue sich nur, zur Verdeutlichung, einmal die Emotionen etwas genauer an, die im Zusammenhang mit TTIP und ähnlichem wahrnehmbar sind.
Diese Suche des Individuums, nach einem Kollektiv welchem es sich zugehörig empfindet, ist in Zeiten der Verunsicherung und des Wandels nichts außergewöhnliches. Carl Schmitt spricht von Assoziation und Dissoziation. Die Nach-Nachkriegszeit hat begonnen und alte Orientierungen werden in Frage gestellt, neue gesucht. Begonnen hatte es mit dem Fall der Mauer, also dem Zusammenbruch des sowjetischen Imperiums insgesamt, und wurde anfangs kaum bemerkt. Der Sieger, der Westen also, dachte, da man nun gesiegt hatte, hat sich das Eigene als überlegen herausgestellt, weshalb ein einfach so weiter machen die vernünftigste Option schien.
Nun stellt sich heraus, dass Mentalitäten, genauso wie ideologische Überzeugungen, doch recht unterschiedlich sind. Während des kalten Krieges war dies nicht so wichtig, doch nun, bei der Suche nach neuer Orientierung und Zuordnung, entsprechend eben der Mentalität, wird es wieder sichtbar und bedeutend. In Deutschland mehr als in anderen Ländern, da dieses Land immer noch auf der Suche nach sich selbst ist.
Nur, welches Ziel hat Merkel wirklich?
In diese Zeit der Neuorientierung zwischen den beiden Befindlichkeiten "One World" und der "Mentalität sowie Indentität" kommt Trump wie gerufen. Was ohnehin immer mehr als ein Relikt aus der Nachkriegszeit erschien, die enge Bindung an die USA, kann nun ohne Gesichtsverlust gelockert werden, die Akteure setzen sich nicht dem Verdacht aus, Verräter einer gemeinsamen Sache zu sein.
Der Verdacht drängt sich auf, dass Merkel eine genaue Beobachterin von dieserart Befindlichkeiten ist. Ihre großen Auftritte hatte sie jeweils in immer vergleichbaren Situationen. Es geschieht immer dann, wenn eine latente Stimmung real greifbar wird. Ob bei Kohls politischem Abgang, dem Atomausstieg, der Grenzöffnung für Flüchtlinge, es ist überall das gleiche Muster. Wie eine Jägerin auf der Lauer wartet sie auf den günstigen Moment und gibt einem bis dahin eher unkoordinierten Gefühl eine Richtung.
Diese hat dem Gefühl bislang gefehlt, Mentalität, Identität, ja selbst das One World Gefühl haben erst mal keine Richtung aus sich heraus, erst durch die Formulierung eines konkreten Ziels, oder einer Richtung, entsteht aus einer amorphen eine politische Masse. Ohne Ziel zerfällt sie wieder und wird zum undifferenzierten Gefühl, welches sich bestenfalls in gelegentlichen Protesten und Unmutsbekundungen zeigt. Besonders wichtig ist der richtige Augenblick, geschieht der Zugriff zu früh oder zu spät, kann es sich nachteilig für die Lauerjägerin auswirken.
Nur, welches Ziel hat Merkel wirklich? Welche Ziele hatte sie bei ihren vorherigen Zugriffen auf Befindlichkeiten von Massen? Hier wird es undeutlich, außer dem Willen zur Macht, sie zu erlangen, zu festigen, zu verteidigen, oder auszubauen, ist nichts klar erkennbar. Im Grunde endete jeder ihre Zugriffe im Chaos. Die CDU ist seither ihrer Seele beraubt, die Energiewende ein Desaster, das Managment der Zuwandererkrise ebenfalls.
Es ist zu befürchten, dass ihr jüngster Zugriff genau so abläuft. Bis zur Bundestagswahl wird sie noch versuchen, den gekaperten Befindlichkeiten der Deutschen eine Richtung zu geben und dies für ihren Machtausbau zu nutzen. Das zu erwartende und daraus resultierende Chaos kümmert sie dann nicht mehr weiter, irgendein Schuldiger für das Desaster wird sich schon finden, kommende Koalitionspartner sollten sich warm anziehen. Ab Oktober liegt sie dann wieder auf der Lauer, für die nächste Gelegenheit.
Dieser Beitrag erschien zuerst auf Quentin Quenchers Blog Glitzerwassser.