Gebannt schaut die Finanzwelt auf Washington. Amerika wird seine Fiskalklippe politisch irgendwie umschiffen und die nächste Umschuldung organisieren. Doch die Schulden türmen sich auf eine Größenordnung, die die ganze Weltwirtschaft gefährdet.
Die politische Klasse der USA ringt um neue Umschuldungstricks. Sie werden wieder welche finden, und ihre Klippen der Sparsamkeit umschiffen. Doch das Problem Amerikas sind keine Felsen der Selbszügelung. Es ist der Ozean aus Schulden, dessen Flutwellen in unfaßbare Dimensionen ansteigen. Die offizielle Verschuldung der USA ist zum Jahresende auf 16,5 Billionen Dollar empor geschnellt. Damit hat sich Amerika in wenigen Jahren so stark verschuldet wie nie ein Staat zuvor in der Menschheitsgeschichte. An jedem einzelnen Tag macht der amerikanische Staat 3,5 Milliarden Dollar neue Schulden. Nur bedingungslose Optimisten können glauben, dass das dauerhaft gut gehen wird.
Bei Obamas Amtsantritt 2009 hatte die US-Staatsschuld noch 10,6 Billionen Dollar betragen. Die 6 Billionen neue Schulden in nur einer Legislatur sind ein historisches Fanal. Obama hat damit so viele Schulden angehäuft wie alle amerikanischen Regierung von George Washington bis zur Amtseinführung von Bill Clinton zusammen genommen. Die Sorgen, die wir uns über Griechenlands Defizite machen, sind lächerlich im Vergleich zum Ungemach, das sich in Amerika zusammenbraut.
Auch der Blick auf die laufende Haushaltsführung erinnert eher an Hempels legendärer Sofaunterwelt als an ein geordnetes Finanzgebaren. Nach Angaben der Fed belief sich das Defizit der Regierung während der letzten vier Jahre im Durchschnitt auf 1274 Milliarden Dollar jährlich. Ein Gedankenexperiment macht klar, um welche Dimensionen es sich dabei handelt: Ein Mensch, der bei Christi Geburt angefangen hätte an jedem einzelnen Tag eine Millionen Dollar Schulden neu aufzunehmen, hätte heute weniger Gesamtschulden als die USA in einem einzigen Jahr neu auftürmen.
Daneben wirkt das schuldenwankende Europa geradezu solide. Denn Washington sammelt schon nach zwei Tagen die Gesamtschulden Bulgariens neu an. Alleine in diesem Jahr hat er so viel neue Schulden gemacht wie ganz Osteuropa, das Baltikum, ganz Skandinavien, und die Problemkinder Griechenland, Portugal und Irland zusammen genommen in Jahrzehnten angehäuft haben.
Der Freiburger Finanzwissenschaftler Bernd Raffelhüschen warnt zudem vor der “Nachhaltigkeitslücke” der USA der. Denn Washington weist mit einem Schuldenstand von mittlerweile 110 Prozent des Bruttoinlandsprodukts nicht nur eine hohe explizite Verschuldung aus. Auch die in den Sozialkassen versteckte Schuldenlast sei enorm und übertreffe die nationale Wirtschaftsleistung um das Mehrfache.
Man kann nur hoffen, dass das Geschacher um die sogenannte “Klippe” Washington zu einer Generalumkehr bewegen wird. Amerika bräuchte ein großes Soliditätsprogramm. Dies müßte Steuererhöhungen ebenso beinhalten wie drastische Ausgabenkürzungen. Für die Konjunkturaussichten der USA ist beides zwar schlecht. Zumindest aber nicht so zerstörerisch wie die jetzige Nach-mir-die-Sintflut-Politik, die mittlerweile die Stabilität der gesamenten Weltwirtschaft bedroht.
Denn wenn schon die Pleite einer einzelnen Investmentbank wie Lehman Brothers oder die Beinahepleite eines Kleinstaates wie Griechenland das globale System zum Wanken gebracht haben, was wird erst passieren, wenn die USA das Vertrauen der Finanzmärkte verlieren. Bereits jetzt müssen die USA jedes Jahr 500 Milliarden Dollar nur an Zinslasten für ihre Schulden zahlen. Noch schmiert die amerikanische Notenbank die monströse Schuldenmaschine mit immer neuem Geld. Doch wenn der Glaube an diese wunderbare Geldvermehrung schwindet, droht eine ökonomische Katastrophe. Es wid Zeit, dass Amerika wieder auf George Washington hört. Der schrieb seiner neuen Nation 1799 ins Stammbuch: “Neue Schulden darf man nicht machen, um die alten Schulden zu bezahlen.”
Zuerst erschienen auf HANDELSBLATT ONLINE