112 Peterson: Hören, was Du nicht hören willst

Stellen Sie sich vor, dass Sie unter sozialen Ängsten leiden und auf eine Party gehen wollen. Die Party ist ein Monster für Sie, das Herz schlägt Ihnen bis zum Hals. Sie fühlen sich von allen beurteilt, Sie sehen sich auf der Dominanzleiter herabgestuft und damit negativ bewertet. Das beeinträchtigt Ihren sexuellen Erfolg. Und das heißt, dass die Natur selbst Sie streng bewertet.

In dieser Situation stehen Sie dem Drachen des Chaos gegenüber. Ihre Reaktion ist, sich mit einer Unterwerfungsgeste zu ducken und zu signalisieren: „Ich bin keine Gefahr“ – durchaus folgerichtig, da Sie vor dem Tyrannen stehen. Sie sehen den König und stellen sich tot. In Ihrem Kopf geht es unaufhörlich: „Was denken die Leute über mich, was denken die Leute über mich? Sehe ich dumm oder doof aus? Mann, bin ich linkisch. Furchtbar, hier zu sein. Oh, ich schwitze wie verrückt.“ All das bezieht sich nur auf Sie selbst. Ihr Blick geht nicht aus Ihnen heraus. Ihr Auge arbeitet nicht.

Was rät man solchen Menschen? Auf keinen Fall, dass sie die Gedanken an sich selbst stoppen sollen. Denn das funktioniert ebenso wenig wie die Aufforderung, nicht an einen rosa Elefanten zu denken. Denn dann denkt man erst recht „rosa Elefant, rosa Elefant, rosa Elefant“. Wann immer man an eine bestimmte Sache nicht denken soll, geht das Gedankenkarussell umso mehr los. Vielmehr sollte man Leuten mit sozialen Ängsten raten: Sieh dir die anderen Leute an! Schau sie an. Denn wenn du die anderen ansiehst, wird dir klar, was sie denken.

Ich spreche jetzt nicht von jenen Menschen, die durch eine extreme Sozialisation keinerlei soziale Fertigkeiten haben. Solche, die nicht auf eine Party gehen können, weil sie nicht einmal wissen, wie man sich vorstellt. Denen niemand vermittelt hat, wie man sich verhält. Diese Leute sind Kandidaten für eine Verhaltenstherapie, in der sie Schritt für Schritt lernen, mit welchen Methoden man soziale Akzeptanz erwirbt.

Ich spreche von Leuten mit sozialen Ängsten, die durchaus soziale Fähigkeiten haben. Auch wenn sie hochgradig neurotisch und introvertiert sind, können sie immer noch recht gut von Angesicht zu Angesicht mit jemandem reden. Denn sie sehen dabei ihr Gegenüber an.

Beobachten Sie die anderen!

Ähnliches gilt, wenn Sie zu einer Gruppe sprechen. Sie sprechen dann nicht zu einer Gruppe. Die existiert eigentlich nicht. Vielmehr sprechen Sie zu den Individuen der Gruppe. Ein einzelnes Mitglied spiegelt die ganze Gruppe wider, weil alle im selben Zug sitzen. Ein einzelnes Individuum übermittelt Ihnen, wenn Sie es anschauen, was alle anderen über Sie denken. Und da jeder weiß, wie man mit einer einzelnen Person spricht, schafft man das leicht, auch wenn man soziale Ängste hat. Sobald man sich auf sein Gegenüber fokussiert, richtet man die Aufmerksamkeit nach außen. Benutzen Sie deshalb Ihre Augen, beobachten Sie die anderen! Dann verlieren sich Ihre Hemmungen und Sie sind nicht mehr so linkisch.

Wenn Sie aber zu Boden sehen, während wir miteinander sprechen, wissen Sie ja nicht, was ich als nächstes tue. So stellen Sie eine Trennwand zwischen uns auf und schlagen falsche Akkorde in der Melodie des Gesprächs an, wenn Sie Ihre Aufmerksamkeit nicht auf mich richten.

Es sind die Augen, die Sie befähigen, einen Satz in jedem Dominanz-Match zu gewinnen. Das wichtigste ist daher: Geben Sie Acht! Passen Sie auf! Deshalb verehrten die alten Ägypter den Falkengott Horus, deshalb rettete Horus Cyrus aus der Tiefe: Es ist das Vermögen, aufmerksam zu sein.

Die meiste Aufmerksamkeit richtet sich auf das, was die rechte Gehirnhälfte als anormal signalisiert. Auf keinen Fall sollten Sie dann die Arme schützend vor das Gesicht heben und wegschauen. Falsch! Sehen Sie vielmehr genau das an, was nicht gutgeht. Das ist zwar das schreckliche Monster, das Sie fressen könnte – aber es ist gleichzeitig eine Gelegenheit, wichtige Informationen zu erhalten.

Deshalb ist es nützlich, mit dem Feind zu sprechen. Ihr Feind kann Ihnen nämlich Dinge sagen, die Sie nicht wissen, und es wäre unklug, sie nicht in Erfahrung zu bringen. Ihr Feind mag Ihnen sagen, dass Sie ein Idiot sind und vieles, was nicht wahr ist. Aber wenn nur eines von dem stimmt, was er Ihnen sagt, dann sollten Sie dankbar sein. Sie können dann nämlich daran arbeiten und brauchen nicht weiterhin den gleichen Fehler zu machen.

Es ist immer das schreckliche Raubtier, das den Schatz hat. Es ist die Person, die Ihnen unterbreitet, was Sie nicht hören wollen. Das ist hart, aber es ist nun mal so. Das Leben an sich ist hart.

Dieser Beitrag ist ein Ausschnitt aus dem Vortrag „Maps of Meaning 8: Neuropsychology of Symbolic Representation“. Hier geht’s zum Original-Vortrag auf dem Youtube-Kanal von Jordan B. Peterson.

Foto: jordanbpeterson.com

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Elmlar Stede / 18.04.2018

Wunderbar, nun auch hier auf der Achse etwas von meinem Lieblings-Mitstreiter in Sachen ‘gesunder Menschenverstand” lesen zu dürfen. Vielleicht bin ich ein an-Boy, aber seine Ausführungen zu so vielen Themen, die uns heute umtreiben, sind einfach zu logisch, um sich ihnen entziehen zu können! Eine riesengroße Fangemeinde bei Youtube sieht das vielleicht ähnlich! Hoffentlich gibt es demnächst noch mehr von ihm zu lesen, ich freu’ mich drauf !

Werner Arning / 18.04.2018

Deshalb ist es gut, wenn man einen Lebenspartner hat, dem man vertraut und welcher einem auch die Dinge sagt, die man eigentlich nicht hören will. Die Dinge, die einem klar machen, wer man ist und welche vielleicht üblen Seiten man auch hat. Ehrlichkeit ist hierfür die Voraussetzung und die Fähigkeit Kritik anzuhören, zu überdenken und sie zu nutzen, um zu wachsen. Also nicht in den Reflex der Selbstverteidigung und des Abstreitens zu verfallen, sondern das Unangenehme zuzulassen. Das geht, wenn eine Vertrauensbasis vorhanden ist. Denn niemand will mir soviel Gutes, wie derjenige, der mich wirklich mag und mir über mich die Wahrheit sagt. Vorsicht ist nur dann geboten, wenn derjenige es nicht gut meint und Machtspielchen spielt, um sich überlegen zu fühlen. Dessen Ziel ist eher das Verletzen. Es lohnt sich aber, zwischen beiden unterscheiden zu lernen. Auch innerhalb einer Freundschaft gilt das Gleiche. Im Vorteil ist auf jeden Fall, wer sich berechtigte Kritik zunutze macht.

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