Hans-Martin Esser / 11.05.2016 / 06:00 / Foto: Eric Kilby / 2 / Seite ausdrucken

10 Lektionen für das Überleben in Talkshows

Wir leben im Zeitalter der Talkshows. Kaum geht man durch die Innenstadt, schwupps kann es sein, dass ein Kamerateam von Ansager und Schnipselmann (Plasberg) oder sonst wem einen einsammelt, weil noch ein Platz für einen „Betroffenen“ am Katzentisch frei wird. Und bevor man dann zwischen den arrivierten Talkshow-Hanseln alt aussieht - hier ein Crashkurs für jedermann.

Lektion 1: Sorgen Sie dafür, dass Sie möglichst viele Freunde mit ins Publikum nehmen. Machen Sie diese vorher wie ein Animateur auf einer Kaffeefahrt heiß und scharf, sorgen Sie dafür, dass immer für Sie geklatscht wird. So können Sie auch den dümmsten Mumpitz erzählen, und die Zuschauer an den Fernsehschirmen übernehmen wie hypnotisiert Ihre Meinung. Das ist kein aus der Luft gegriffenes Beispiel, sondern die Vorgehensweise von Gesine Schwan. Sie geht kaum in Talkshows, ohne drei Dutzend ihrer Studenten mitzunehmen. Je jünger die Jubelperser, umso besser. Also am besten Schüler oder Studenten einladen und ein Eis spendieren und Sie werden es nicht bereuen.

Lektion 2: Machen Sie Grimassen oder unkoordinierte Bewegungen mit der Hand, gestikulieren Sie, so bringen Sie die Menschen im Publikum zum Lachen und ihre Gegner in der Talkrunde aus der Fassung. Wenn Sie glauben, dass es so etwas nicht gibt, dann schauen Sie sich Jakob Augstein an, nicht nur im Talk mit Thilo Sarrazin, sondern auch in der Kasperle-Show Blome und Augstein. Sie sehen, auch als beinahe 50jähriger können Sie sich so benehmen wie ein Schuljunge, der die Hausaufgaben nicht gemacht hat und weiß, dass man nicht Recht haben, sondern einfach nur schwadronieren muss, lassen Sie es einfach laufen. Talkshow heißt nicht Wissenschaftsshow. Keine Angst vorm „Fakten-Check“ – das lesen nur Spaßbremsen. Also wenn Sie in Mathe eine 6 hatten, egal. Sagen Sie einfach mal 5 plus 4 ist 11 und wursteln Sie einfach mit Grimasse dabei in der Luft herum und man hält es für Ironie oder Sie für einen genialen Freigänger aus der Klapse und gibt Ihnen aus Mitleid Recht.

Lektion 3: Lernen Sie Rheinisch zu sprechen. Wenn Adenauer von Männchenrechten sprach, aber Menschenrechte meinte, war das ulkig. Jeder mag Menschen, die einen süßen Akzent oder Dialekt haben. Schauen Sie sich Wolfgang Bosbach an, den mag man einfach. Kleiner Tipp dazu: vermeiden Sie es, Rheinisch durch die Nase zu sprechen, das klingt nach Psychopath und macht unsympathisch. Ulla Schmidt, Ronald Pofalla und besonders Karl Lauterbach gehen gar nicht.

Lektion 4: Ziehen Sie munter über Kollegen her, bestätigen Sie jedes Klischee über Ihre Berufsgruppe, indem Sie als Kronzeuge auftreten. Sie sind dann der Insider. Sie können dann auch eine Patek Philippe Ellipse d´Or am Handgelenk tragen. Wenn Sie ganz nebenbei eine Firma leiten, betonen Sie die traditionellen Werte – verwenden Sie das Wort „ehrbarer Kaufmann“ möglichst oft, gehen Sie ins Sonnenstudio und tragen Sie dazu einen Eisenscheitel. Wolfgang Grupp weiß, wie man sich darstellt. Gucken Sie sich den Auftritt ab.

Lektion 5: Zeigen Sie offen Ihr Mitleid für Andersdenkende. Die Anderen sind einfach nur zu dumm, um sich Ihrer Meinung anzuschließen. Lassen Sie sich außerhalb der Talkshow ganz häufig bei Demonstrationen blicken, bei denen es um nichts geht. Machen Sie dabei ein stets ernstes Gesicht und schreiben Sie eine Dissertation über irgendwas mit Minderheiten. Lassen Sie dabei heraushängen, dass Sie den Doktortitel nicht nötig hätten. Lassen Sie bekannt werden, dass Sie in einem 800-Seelen-Kaff wohnen. Sie wollen mit derlei Aktionen nur ihre Moralität zeigen und mit dem Wohnsitz in der Pampa den IQ des Ortes auf einen oberen zweistelligen Wert anheben. Nehmen Sie sich grundsätzlich ein Beispiel an Juli Zeh. Es gibt derzeit keinen tolleren Menschen im Land, seitdem Günter Grass tot ist.

Lektion 6: Sagen Sie  nicht, dass früher alles besser war, wenn Sie politisch eher rechts stehen oder aus der DDR kommen. Wenn Sie jedoch Sozialdemokrat oder Grüner sind, erwähnen Sie den Satz ganz häufig mit dem Hinweis, dass unter Willy Brandt alles super war. Sätze wie „Wenn das der Willy wüsste“ schießen allerdings über das Ziel hinaus, aber fragen Sie sich: „Was würde Willy heute tun?“. Wahrscheinlich Steuern, Löhne, Arbeitslosigkeit und Staatsschulden gleichzeitig erhöhen – think big. Als Beispiel für derlei Heldenkult nenne ich Egon Bahr.

Lektion 7: Wenn Sie wichtig sind, sorgen Sie dafür, dass der Pöbel – genannt Zuschauer - draußen bleibt und auch die 5 anderen Talkshow-Gäste. Nehmen Sie eine Zigarette mit, möglichst Menthol und quarzen Sie Ihrem Gegenüber, das der Antwort harrt, schonungslos ins Gesicht, nutzen Sie Denkpausen. Wissen Sie grundsätzlich alles besser. Es gibt nur dumme Fragen. Nichts geht über Helmut Schmidt.

Lektion 8: Kapern Sie sich eine eigene Talkshow, dann gibt es immer ein Rückspiel. Wenn ein anderer in der Runde Sie „balla balla“ nennt, so ein respektloser Typ wie Matussek, dann laden Sie ihn einfach als Rache ein, am besten, um ihn dann als „Moderator“ mal so richtig hart anzugehen. Kleiden Sie sich so gut, dass Sie unangreifbar werden. Michel Friedman zeigt Ihnen, wie es geht.

Lektion 9: Wenn es nicht läuft und Sie mal wieder keine Ahnung haben, sagen Sie allen, denen Sie in der Runde argumentativ nicht gewachsen sind, dass Sie einen skandalösen Mangel an Empathie bei Ihrem Gegenüber sehen, vorzugsweise Leuten wie Thilo Sarrazin, Roger Köppel oder jedem von der AfD. Empathie, das ist das Zauberwort schlechthin. Die Dummen im Publikum werden Sie für einen hellen Kopf halten und klatschen, um so tun, als wenn Sie verstünden, worum es ginge. Klatschen die ersten, schließen sich andere Zuschauer an. Hier kann ich Ihnen fast alle grünen Politiker, allen voran Katrin Göring-Eckardt und Claudia Roth empfehlen, wenn Sie nicht wissen, welcher Gesichtsausdruck dazu passt.

Lektion 10: Haben Sie bloß keine Stimme Typ Kloß im Hals: Christian Wulff und Jürgen Trittin kommen nie gut in Talkshows.

Und jetzt kann es ja losgehen.

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Stefan Maier / 11.05.2016

Herrlich, zum Brüllen komisch! Lektion 6 ist übrigens auch sonst alltagstauglich, besonders im Lehrerzimmer! Niemals sagen, dass es “vor 1968” oder auch “in den 50er Jahren” gar nicht so übel war, während es “ganz toll” war, wie “politisch aktiv” die Schüler “früher”, d.h. natürlich “nach 1968” (aber vor 1982, dem “höllischen” Wendejahr am Beginn der Ära Kohl) waren. Tja, das waren noch Zeiten! Woodstock, Birkenstock, und jetzt nur noch Gehen am Stock!

Wolfgang Schmid / 11.05.2016

Lektion 11 - Vergessen Sie nie: Talkshows sind Wrestling für Möchtegern-Intellektuelle. Lernen Sie von Hulk Hogan und den anderen Kunstfiguren:  Je schriller, desto besser. Vergessen Sie Anstand und Wissen - seien Sie einfach nur bööööse! Das freut den Moderator und das Publikum - und die FAZ schreibt am nächsten Tag darüber. Nicht im Sport-, sondern im Politikteil.

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