Henryk M. Broder / 02.07.2013 / 12:02 / 0 / Seite ausdrucken

Nürnberg und die internationale Palästina-Solidarität

Die Stadt Nürnberg hat ein besonders inniges Verhältnis zur deutschen Geschichte. Hier fanden von 33 bis 38 die Reichsparteitage der NSDAP statt, wobei Hunderttausende von Volksgenossen zusammen kamen, um den Triumph des Willens, der Ehre und der Freiheit zu feiern. Der Parteitag von 1939 sollte “Reichsparteitag des Friedens” heißen, musste aber wegen eines unvorhergesehenen Kleinzwischenfalls der Geschichte kurzfristig abgesagt werden.
Nach dem Krieg fanden im Nürnberger Justizpalast, der unzerstört geblieben war, die Nürnberger Prozesse gegen ein paar NSDAP-Funktionäre statt, die im Dritten Reich nur Befehle ausgeführt hatten und sich keiner Schuld bewusst waren. Daher ist es verständlich, dass sich die Stadt Nürnberg vor allem dem Frieden und den Menschenrechten verpflichtet fühlt. Es gibt in Nürnberg eine “Straße der Menschenrechte” und ein “Mahnmal für die Würde des Menschen”, ein “Nürnberger Menschenrechtszentrum” und ein “Nürnberger Menschenrechtsbüro”; die Stadt verteilt den Internationalen Menschenrechtspreis “an Personen, die sich für die Einhaltung der Menschenrechte einsetzen”. Beim “Nürnberger Filmfestival der Menschenrechte“ geht der “Deutsche Menschenrechts-Filmpreis” an “engagierte Filmemacher”, Profis wie Amateure, die sich in ihren Arbeiten für Menschenrechte eingesetzt haben.

Kann man von einer Stadt, die sich ihrer historischen Verantwortung bewusst ist, mehr verlangen? Kaum. Oder doch. Es gibt in Nürnberg auch einen Verein “Solidarität International Nürnberg”, der sich als “demokratisch, überparteilich, weltanschaulich offen, finanziell unabhängig” präsentiert. Er fördert “internationalistisches Denken in breiten Bevölkerungskreisen”, bietet “Hilfe zur Selbsthilfe und Selbstbefreiung” an und ist “solidarisch mit allen gerechten Kämpfen”. Welche Kämpfe gerecht und welche ungerecht sind, entscheidet der Vorstand des Vereins. Sie ahnen, worauf die feine Differenzierung hinausläuft.

Der Verein “Solidarität International Nürnberg” nimmt - weltanschaulich offen und finanziell unabhängig - am “Südstadtfest” teil, das alljährlich im Juli stattfindet und u.a. auch vom Amt für Kultur und Freizeit (KUF) der Stadt Nürnberg gefördert wird. Um internationalistisches Denken in breiten Bevölkerungskreisen zu fördern und sich mit allen gerechten Kämpfen zu solidarisieren, hat der Verein “Solidarität International Nürnberg” die Nürnberger Bürger zu einem “Verzicht” aufgerufen: “Boykottiert israelische Apartheid”. Der Aufruf bezieht sich aus kosmetische Artikel, Wein, Obst und Früchte. Auf einem anderen Poster wird das Ziel der Aktion klar formuliert: “Israelische Produkte - Nein danke!”

Also kein Rumgezicke, wie es die grünen Heuchler veranstalten, die zwischen politisch koscheren israelischen Produkten und unkoscheren Produkten, die von israelischen Firmen in der Westbank hergestellt wurden, unterscheiden. Insofern sind die Nürnberger Boykotteure viel ehrlicher als das grünreakionäre Pack, das mit aller Macht an die Macht drängt und deswegen nicht immer Klartext reden kann. Die einen wie die anderen meinen “Deutsche, wehrt Euch, kauft nicht bei Juden!”, aber nur die einen trauen sich, es offen auszusprechen.

Ein Nürnberger Bürger, Alexander C., der uns auf diesen Fall aufmerksam machte, hat sich letztes Jahr beim Menschenrechtsbüro der Stadt Nürnberg beschwert. “Mir wurde zugesagt, dass der Sache nachgegangen werde. Seither habe ich nichts mehr von dieser Stelle gehört”, berichtet er. Die Nürnberger Nachrichten hätten allerdings einen Leserbrief von ihm abgedruckt:

Ich hätte nie gedacht, dass so was in meiner Heimatstadt, der „Stadt der Menschrechte“, möglich sein kann! In der Stadt, in der die „Nürnberger Gesetze“ verabschiedet wurden! […] Wie kann es sein, dass so etwas auf dem „muli-kulturellen“ Südstadtfest möglich ist? Dass sich darüber keiner beschwert? Dass die Stadtverwaltung nicht einschreitet? Allein der Gedanke, dass Nürnberg wieder mit Hass gegen Juden in Verbindung gebracht wird, ekelt mich regelrecht an.

Der Vorsitzende der jüdischen Gemeinde in Nürnberg, Arno Hamburger, sei bereits 2011 beim Oberbürgermeister vorstellig geworden,  der seinerseits zugesagt haben soll, “dafür zu sorgen, dass Ähnliches nicht mehr passiert”.

Nun wird der Verein “Solidarität International Nürnberg” auch in diesem Jahr am Südstadtfest mit einem Infostand vertreten sein. Möglicherweise wird er dieses Jahr dazu aufrufen, Produkte aus China oder der Türkei zu boykottieren - Sie wissen schon, wegen Tibet, Nordzypern und so - aber sehr wahrscheinlich ist das nicht. Denn der Verein “Solidarität International Nürnberg” hat ein Programm, und das ist so porentief antizionistisch-antisemitisch wie eine Haselnuss braun ist.

“Es ist der Zionismus, der ein koloniales Projekt in Palästina startete. Der Zionismus als politische Ideologie bedeutet reaktionärer Nationalismus, der die eigene nationale Zugehörigkeit über die andere stellt. Wie jeder Nationalismus führt dies in Spaltung, Hass und Krieg. Die internationale Solidaritätsbewegung für die Freiheit Palästinas ist das konkrete Gegenprogramm”, sagt ein Vereins-Sprecher und beruft sich dabei, natürlich, auf einen “jüdisch-israelischen Freund”, der ihn vor kurzem besucht und ihm “einen besonderen Auftrag hinterlassen” habe. Früher kannte jeder Antisemit einen anständigen Juden, heute hat jeder Antizionist einen israelischen Freund, in dessen Namen er agiert. Und wenn es nur Yahav Zoar vom Israelischen Komitee gegen die Hauszerstörung ist, der bis nach Nürnberg reisen muss, um gehört zu werden.

Also, liebe Nürnberger, auf zum Südstadtfest und die Kamera nicht vergessen!


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