Vince Ebert / 08.02.2013 / 17:36 / 0 / Seite ausdrucken

Tsjakkaa! Du schaffst es… vielleicht

Kennen Sie noch Emile Ratelband? Ein niederländischer Motivationstrainer, der in den 90er Jahren wie ein Irrer auf der Bühne herumgesprungen ist und unschuldigen Menschen „Tsjakkaa! Du schaffst es!“ ins Gesicht gebrüllt hat. Am Ende lies er sie dann über glühende Kohlen gehen. Tausende von Kursteilnehmern waren fasziniert davon, dass sie offenbar mit ihrem puren Willen Schmerzen ausschalten konnten. Was sie zwangsläufig auch mussten, denn andersfalls wäre das Herumgebrülle des holländischen Schaumschlägers kaum erträglich gewesen.

Ratelbands Botschaft war: „Du kannst reich und glücklich werden, wenn du es nur willst. Du kannst alles schaffen.“ Das ist Quatsch. Wenn Sie in Somalia zur Welt kommen, schaffen Sie es nicht. Ob Sie in München-Bogenhausen in eine Industriellenfamilie hineingeboren werden oder in einen Slum in Rio de Janeiro ist vollkommen zufällig. Sie haben keinen Einfluss darauf. Wir können nicht alle reich und erfolgreich werden.

Trotzdem hängen die meisten dieser Illusion nach. Wenn Sie durch die Buchhandlung gehen, finden Sie unzählige Buchtitel wie: „Wie werde ich erfolgreich?“ Das Prinzip ist immer das gleiche: Meistens wird ein erfolgreicher Mensch vorgestellt, der bestimmte Eigenschaften hat. Mut, Risikobereitschaft, Fleiß, Optimismus. Daraus wird geschlossen: Wenn auch Sie diese Eigenschaft haben, läuft‘s. Leider steckt darin ein statistischer Denkfehler. Wir wissen nämlich nicht, wie viele Menschen ebenfalls Mut, Risikobereitschaft, Fleiß und Optimismus hatten und gescheitert sind. Und zwar aus einem einfachen Grund: Erfolglose Menschen schreiben keine Bücher. Ich habe nachgeguckt: Bücher mit Titeln wie: „Warum ich’s nicht geschafft habe“ „Ich bin ein Loser“ „Trotz Einser-Abi in der Gosse“ suchen Sie bei Amazon vergeblich.

Natürlich hängt Erfolg von Fleiß, Mut und Können ab, aber eben auch in hohem Maße vom Zufall. In der Physik hat man das schon vor 100 Jahren erkannt. In dieser Zeit wurde die Quantenmechanik entwickelt. Zur großen Verblüffung erkannte man, dass viele Mechanismen in der Natur auf Zufall und Wahrscheinlichkeit basieren. Ein Beispiel: Wenn ich abends nach meiner Show in meinem Hotelzimmer gut gelaunt den Fernseher aus dem Fenster werfe, dann tue ich das nicht, weil ich mit Drogen vollgepumpt bin, sondern, um die newtonschen Bewegungsgesetze zu überprüfen. Wenn ich Abwurfhöhe, Auswurfwinkel und Anfangsgeschwindigkeit kenne, kann ich ganz exakt berechnen, wo das Ding auf dem Parkplatz aufschlägt. Und da zahle ich auch gerne 19 Euro für die Mediennutzung. „Hatten Sie Pay-TV Herr Ebert?“ „Nur ganz kurz.“

In der Welt der Elektronen sieht das vollkommen anders aus. Wenn Sie ein Elektron aus einem Hotelzimmerfenster werfen, ist es unmöglich zu bestimmen, wo genau es auf dem Parkplatz aufschlägt. Der Grund liegt an der Heisenbergschen Unschärferelation: Wenn ich weiß, wo sich ein Elektron befindet, habe ich keine Chance herauszufinden, was es macht. Und wenn ich weiß was es macht, habe ich keine Ahnung, wo es ist. Das ist im normalen Leben oft genauso. Angenommen, Sie fahren mit Ihrer Sekretärin zu einer Tagung nach Gütersloh. Dann weiß Ihre Frau zwar genau, wo sie sind, aber sie hat keine Ahnung, was Sie da machen. Ein paar Wochen später findet sie an Ihrem Hemdkragen Lippenstift. In dem Moment, weiß sie genau, was Sie gemacht haben, aber sie hat keinen blassen Schimmer, wo. Das ist Heisenbergsche Unschärferelation. Der definitive Beweis, dass viele Dinge per se nicht berechenbar sind, weil sie auf Zufall basieren.

Und das gilt nicht nur für die „totsicheren“ Erfolgsstrategien von holländischen Motivationsgurus, sondern genauso für die seriösen Prognosen von nüchternen Quartalszahlen, auf die viele Manager schwören. Wir alle planen unsere Zukunft, indem wir uns die Vergangenheit ansehen, sie hochrechnen und das hochgerechnete Stück vorne wieder anflanschen. Wir sind Autofahrer, die nachts auf einer geraden Straße ohne Licht fahren. Und wir haben nur solange Glück, solange zufällig keine Kurve kommt. Tsjakkaa!

© Vince Ebert

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