Von Marko Martin
No jokes with names! Immerhin ist es ernst, was der Germanist Lothar Quinkenstein vor einigen Tagen („Die Welt“ berichtete) im Berliner „Tagesspiegel“ der Kinderbuch-Autorin Christine Nöstlinger vorgeworfen hatte: Der schurkische Protagonist ihres Klassikers „Wir pfeifen auf den Gurkenkönig“ heiße wohl nicht zufällig „Kumi-Ori“, was hebräisch sei für „Erhebe dich“, einen biblischen Vers Jesajas zitiere und die Stadt Jerusalem meine. Frau Nöstlinger verteidigte sich daraufhin mit der seltsamen Begründung, sie habe den Namen bei Paul Celan entdeckt und ihn dann mit „schwarzem Humor“ dem Gurkenkönig verliehen. Wir möchten hier nicht über unterbewusst Waberndes spekulieren, sondern die reichlich vergurkte Sache auf ihren Kern zurückführen – auch wenn damit wiederum der Sexismus-Vorwurf fällig würde.
Doch wie laut war das Lachen von Ilana Shmueli in ihrem Alterswohnsitz in Jerusalem, als sie über ihre 1965 wieder aufgefrischte Jugendliebe zu Paul Celan sprach! „Sollen sich die Germanisten was dran abbeißen – ich weiß, was Paul meinte, als er ´Kumi, ori, erhebe dich, leuchte´ schrieb. Es war ein Preisen eines Teils der eigenen Anatomie, die bei einem Besuch hier in Jerusalem wieder erwachte.“ Dass die ebenfalls aus Czernowitz stammende und 1944 ins damalige Palästina geflüchtete Ilana Shmueli Paul Celans letzte Muse war, ist bekannt, ihr Briefwechsel bei Suhrkamp ediert. Und doch… Da saß eine trotz Rückenschmerzen heitere Greisin im von Fensterlamellen strukturierten Jerusalemer Mittagslicht und zitierte noch dies: „ES STAND der Feigensplitter auf deiner Lippe, es stand Jerusalem um uns, es stand der Hellkiefernduft überm Dänenschiff, dem wir dankten, ich stand in dir.“ Verständnisfrage: „Und Ihr Jerusalemer Ehemann?“ Frau Ilana: „War zum Glück auch kein Kostverächter und ein kleiner Jäger. Das vereinfachte unsere temporäre menage á trois…Nun guck´ nicht so naiv, mein guter Junge!“ Worauf erneut himmlisches Gelächter folgte, sich um alle Gender-Benimm-Regeln einen Teufel scherend. Was uns deshalb, um das Verdikt der Naivität zu kontern, dazu brachte, den fortgesetzten „Hellkiefernduft“ zu erwähnen, der die allnächtlichen Aktivitäten im nahegelegenen Unabhängigkeitspark gleichsam beschirmte. „Weiß genau, was da abläuft“, beschied ungerührt die Greisin, „versuch nur nicht, eine Soziologin zu verblüffen. Da treffen sich die schweren Jungs, die Juden aus dem Westteil und die, nun ja, gleichgesinnten Araber aus Ostjerusalem, nicht zu vergessen ein paar verhuschte junge Ultraorthodoxe, denen dann beim sinnlichen Sozialisieren schon mal der Hut vom Kopf rutscht wie in diesem Van-Hoddis-Gedicht. Richtig?“ Damit nicht genug, in vergnügtes Glucksen ausbrechend und dem Gast voll diebischer Freude die Pointe stehlend: „Und die jungen Säkularen machen sich einen Witz daraus, währenddessen `Kumi, ori` zu rufen. So zumindest wurde es mir berichtet, und was meinst Du?“ Souveräner nie als in Jerusalem. Und wie tröstlich sich vorzustellen, dass die schließlich im November 2011 hochbetagt verstorbene Ilana Shmueli ihr gänzlich unkorrektes Gelächter mit sich genommen hat, hoch in den weiten Himmel über der Stadt, allen verdrucksten Gurkenkönigen zum Trotz.