Knapp zwei Wochen Brüderle-Debatte und kein Ende in Sicht. Zeit für eine kurze Zwischenbilanz. Wer sich die volle Ladung Talkshows und Diskursbeiträge gegönnt hat, entdeckt ein verblüffendes Phänomen: Der eigentliche Vorgang des Anstoßes spielt im Grunde überhaupt keine Rolle.
Dass der FDP-Fraktionschef vor mehr als einem Jahr zu der jungen Journalistin Laura Himmelreich gesagt hat: „Sie können ein Dirndl auch ausfüllen.“ ist ebensowenig Gegenstand der Debatte gewesen, wie sein Bemühen, der jungen Frau (29) seine Tanzkarte (!) beim FDP-Ball aufzudrängen. Keine Analyse, keine Bewertung, kaum eine Bemerkung wurde und wird in aktuellen Beiträgen an die Ursprungs-Episode verschwendet, die das Sexismus-Palaver in Gang setzte. Der Grund ist so einfach wie bezeichnend: Es gab schlichtweg gar keine Aufregung über das etwas altbackene Baggern Brüderles. Eine Stammtisch-Befragung in „Bild“ ist in diesem Zusammenhang außerordentlich aufschlussreich: Dass Männer sich mehr oder weniger galant an Frauen heranmachen, ist „voll normal“. Kein #aufschrei nirgends.
Das ist insofern interessant, als sich die vermeintliche „Brüderle“-Debatte sofort nach Erscheinen des „Stern“-Beitrags um übergriffige Chefs, Po-klatschende Kollegen, die Rolle der Frau in der Welt, die Quote und das Geschlechterverhältnis in der Gesellschaft schlechthin drehte und dreht. Mit anderen Worten, ob der Auslöser überhaupt beispielhaft für das Thema der großen Diskurs-Walze steht, interessierte im Grunde niemanden. Schon gar nicht „die Menschen da draußen“.
Mit anderen Worten: Eine kleine, weiblich dominierte Medien-Elite führte die Debatte, die sie immer schon mal führen wollte. Emma, und wie sie die Welt sah. Alice im Macho-Land. Ein Lehrstück in Medien-Demokratie. Und ein bedrückendes Fragezeichen an die Abbildungsschärfe medialer Wirklichkeit. Denn wie schon das Blitzlicht-Phänomen Piraten-Partei, so zeigt sich auch im Kampagnen-Hashtag #aufschrei, dass via Internet innerhalb kürzester Zeit ein Meinungs-Schwarm einen oberflächlich betrachtet, mächtigen Flash-Mob veranstaltet, dessen soziale Repräsentativität niemand so schnell prüfen kann, wie die mediale Walze rollt. Gekoppelt mit einem mehr und mehr sich verfestigenden Regierungsstil, der im Grunde nur aus politischer Wetterfühligkeit besteht, ist es ein Wunder, dass der Gesetzgeber nicht längst mit irgendeiner Kurzschluss-Handlung reagiert hat.
Denn auch bei der von Brüderle völlig losgelösten Geschlechterdebatte machte sich so gut wie niemand die Mühe, einen auch nur halbwegs belastbaren Datenuntersatz zu Übergriffigkeit, Geschlechterdifferenz und nach wie vor manifesten Rollenbildern zu bemühen. Real waren vor allem die allgemeine Ahnungslosigkeit und die gefühlte Unterlegenheit der Wortführerinnen (plus Heiner Geißler). Zwar wäre auch dieses diffuse Gefühl durchaus eine ernsthafte Betrachtung wert gewesen, es unterliegt aber weitgehend dem unausgesprochenen Hinterfragungsverbot. So, wie viele Ostdeutsche sich bis heute dagegen verwahren, dass es ihnen inzwischen doch einigermaßen gut gehen könnte, so ist der umgehende Macho-Pingback unvermeidlich, wenn man die Opfer-Rolle der Frau auch nur in Teilbereichen in Frage stellt.
Fazit: Geschlechter-Debatten haben nichts an Explosivität und Interesse verloren. Sie rational führen zu können, bleibt eine Illusion.