Gastautor / 01.02.2013 / 17:04 / 0 / Seite ausdrucken

Die Frau muss endlich als Mensch begriffen werden!

Tahir Chaudhry

Aufregung, Getuschel und Verdächtigungen zum “Fall Brüderle”, der aufgrund seiner Alltäglichkeit eigentlich gar kein Fall ist. Rainer Brüderle werden Anzüglichkeiten gegen eine „Stern“-Reporterin vorgehalten. Ein #Aufschrei hallt durch Deutschland. Frauen wollen nicht als Objekt wahrgenommen werden. Sie wollen als Mensch respektiert werden. Und das nachdem es so schien, als wäre die Stellung der Frau in unserer Gesellschaft endlich gestärkt.

Was ihre Rechte anbelangt, ist die Frau heute auf Augenhöhe mit den Männern. Sie ist vor dem Gesetz gleich und darf ihre Persönlichkeit frei entfalten. Sie darf sich bilden, sie darf arbeiten, erben, sich scheiden lassen und wählen gehen. Trotz der rechtlichen Gleichstellung, scheint die männliche Mentalität unbeirrt geistige Unterscheidungen zwischen Mann und Frau zu treffen. Die Arbeitswelt ist das perfekte Beispiel: Frauenqouten sollen es richten. Männerstimmen ertönen und verweisen auf einen Verstoß gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz. Frauen entgegnen: “Nachdem so lange Frauen benachteiligt wurden, ist es auch nicht schlimm, jetzt einmal ein paar Männer zu benachteiligen.” Psychologisch nachvollziehbar, aber philosophisch-politisch ein höchst zweifelhaftes Argument.

Befinden wir uns mitten in einem neu auflebendem Geschlechterkampf? Eines hat der Stern mit ihrer Brüderle-Episode bei aller Kritik bewirkt, nämlich, dass man endlich über den Sexismus öffentlich spricht. Ein Thema, das lange totgeschwiegen wurde und nun offen und sachlich ausdiskutiert werden muss. Ist aber jeder Einzelne wirklich bemüht etwas an der vorherrschenden Situation zu ändern? Oder empören sich lediglich Männer über Frauen und Frauen über Männer bis alle wieder schweigen, weil wir doch irgendwie miteinander auskommen müssen?

Das stinkt zum Himmelreich

Im aktuellen Sexismus-Fall gibt es einige merkwürdige Einzelheiten in den Schilderungen der stern-Journalistin: Es ist Mitternacht. Die Szene ereignet sich an einer Hotelbar. Laura Himmelreich, eine Journalistin auf der Suche nach Nähe zu einem ranghohen Politiker. Rainer Brüderle sitzt leicht angetrunken an der Bar. Die Journalistin spricht ihn an und bittet um ein Interview. Während des Gesprächs belästigt Brüderle sie sexuell. Statt das Gespräch zu sofort beenden, möchte sie ihre “Professionalität” bewahren und bleibt dran. Ein Jahr vergeht. Brüderle wird Spitzenkandidat der FDP. Himmelreich beschließt ihre Begegnung mit dem Politiker in einem Artikel zu verarbeiten. Eine Welle der Empörung zieht durch Medien und Politik.

Hat die Journalistin kein befremdliches Berufsverständnis, wenn sie um Mitternacht ein “offizielles” Interview führen möchte? Wo bleibt die volle Wahrheit? Auf Stern.de erschien, begleitend zum Brüderle-Porträt, indem es selbstkritisch heißt, dass Redaktionen gerne junge, attraktive Frauen strategisch einsetzen. Dabei ginge es “nicht nur um einen anderen, weiblichen Blick. Sondern darum, eine größere Nähe zu Politikern herzustellen, eine anders geartete Nähe. Offenherzigkeit gegen tiefes Dekolleté und klimpernde Wimpern. So einfach ist das manchmal wirklich, leider.” Dies ist ohne Frage die umgekehrte Version des Sexismus. Gerade der Stern, das Magazin, das den “Brüderle-Fall” öffentlich machte, verdient seit Jahrzehnten gut daran, wenn nackte Frauen auf ihren Covern zu sehen sind.

Die Massenverführung

Warum empört sich unsere Gesellschaft überhaupt über den verbreiteten Sexismus in unserer Gesellschaft? Das sexuelle Jagdrevier haben wir doch selbst geschaffen! An jeder Straßenecke, in jeder Zeitschrift, in jeder Fernsehwerbung sind aufreizende Slogans und Bilder zu finden, die eine konstante Dauererregung in einer zu tiefst erotisierten Gesellschaft verursachen. Auf Schritt und Tritt wird versucht ganze Massen zu verführen. Die Folge ist, dass immer größere und stärkere Reize benötigt werden, um die Gier der sabbernden Männer zu stillen. Die Frau wird für ein Objekt gehalten, dass austauschbar ist, sobald man sich an ihr satt gesehen hat. Wegschauen! Wegclicken! Weiterblättern! Männer, egal ob jung oder alt, wandern durch die Welt und verhalten sich wie zweibeinige Ratingagenturen: Bewerten! Aufwerten! Abwerten!

Wo liegen die Grenzen? Es ist immer eine Gratwanderung zwischen Kompliment oder Flirt und einer unerwünschten Anmache, die als sexistisch empfunden wird. Ein falsches Wort und schon empört sich die Frau wegen sexueller Belästigung! Viele Frauen senden ständig Signale an die breite Masse aus und warten bis ein Mann reagiert. Und wenn das reagierende Gegenüber nicht gerade ein Johnny Depp oder George Clooney ist, erst dann wird deutlich, welch eine Herabwürdigung solch ein “Herrenwitz” darstellt. Zwar weiß jeder Mann, dass er nicht den Schönheitsidealen entspricht, aber will es sich nicht eingestehen. Deshalb versucht er es unter Umständen, an die äußerste Grenze zu gehen, wenn ihm die Möglichkeit einer intimen Annäherung günstig scheint. Frau Schwarzer, diese Annäherung hat nichts mit Machtdemonstration zu tun! Es ist eher zügellose männliche Triebsteuerung gepaart mit einem deutlichen Kommunikationsproblem der Geschlechter.

Dschungel oder Zivilisation?

Brauchen wir jetzt eine Gesellschaft der Geschlechtslosigkeit? Nein, wir müssen bestrebt sein die menschliche Natur berücksichtigend einen neutralen Boden für beide Geschlechter zu schaffen. Die Frau muss endlich als Mensch begriffen werden! Sie darf weder ausschließlich als Opfer noch als Täter tituliert werden. In einer Öffentlichkeit ohne Regeln, ohne reizfreie Räume wird es hingegen kaum möglich sein, einen würdevollen Umgang zwischen den Geschlechtern zu gewährleisten. Es müssen die richtigen Rahmenbedingung geschaffen werden. Das geht nicht mit den omnipräsenten Slogans und Bildern, die sexuelle Assoziationen hervorrufen. Das geht nicht, solange Tag für Tag Männer mit “überhöhtem” Weiblichkeitsideal und den zuletzt adaptierten “schmutzigen” Attributen der Pornographie auf den Straßen spazieren. Das geht nicht mit der tagtäglichen Verbreitung von Perversionen des Privatfernsehens, die mit ihrer mediale Fleischbeschau auf Qoutenfang gehen. Und es geht vorallem nicht, solange unsere Vorbilder, wie etwa die Prominenz aus Hollywood sexisitische Äußerungen von sich geben und dafür Beifall erhalten. Die größte Verantwortung tragen Elternhäuser und Schulen als Erziehungsanstalten, den Kindern so früh wie möglich grundsätzliche Benimmregeln gegenüber dem anderen Geschlecht ans Herz zu legen. Sexismus ist eine Gefahr, ähnlich wie Rassismus, Antisemitismus und Terrorismus. Das Problem müssen wir ernst nehmen und darüber diskutieren. Viel wichtiger: Wir sollten aktiv etwas dagegen unternehmen!

Tahir Chaudhry, 23, studiert Islamwissenschaften und Geschichte und schreibt u.a. für die Islamische Zeitung, Turkishpress und das MiGazin. 

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Gastautor / 31.03.2024 / 12:00 / 5

Der Bücher-Gärtner: Warum die Giraffe nicht ohmächtig wird

Von Edgar L. Gärtner. Dieses Buch erzählt Geschichten von kleinen und großen Tieren von Seepferdchen bis zu Elefanten und Narwalen, in denen sich manchmal jahrtausendealte…/ mehr

Gastautor / 24.03.2024 / 10:00 / 48

Kunterbunt in die Katastrophe

Von Florian Friedman. So ziellos er auch mittlerweile durch die Geschichte stolpert, auf eine Gewissheit kann der Westen sich noch einigen: Unser aller Erlösung liegt…/ mehr

Gastautor / 18.02.2024 / 10:00 / 30

Die rituale Demokratie

Von Florian Friedman. Letzter Check: Die Kokosnussschalen sitzen perfekt auf den Ohren, die Landebahn erstrahlt unter Fackeln, als wäre es Tag – alle Antennen gen…/ mehr

Gastautor / 07.01.2024 / 11:00 / 18

Was hat das ultraorthodoxe Judentum mit Greta zu tun?

Von Sandro Serafin. Gehen Sie einfach mit dem Publizisten Tuvia Tenenbom auf eine kleine Reise in die Welt der Gottesfürchtigen und nähern sich Schritt für…/ mehr

Gastautor / 17.12.2023 / 11:00 / 18

Ist auch der PEN Berlin eine Bratwurstbude?

Von Thomas Schmid. Am vergangenen Wochenende trafen sich die Mitglieder des im Sommer 2022 gegründeten PEN Berlin zu ihrem ersten Jahreskongress im Festsaal Kreuzberg. Die…/ mehr

Gastautor / 17.10.2023 / 11:00 / 20

Wokes „Voice“-Referendum: Warum die Australier Nein sagten

Von Hans Peter Dietz. In Australien ist ein Referendum, das die Bildung einer nicht gewählten Nebenregierung aus Ureinwohnern ("Indigenous Voice to Government") vorsah, an einer…/ mehr

Gastautor / 20.08.2023 / 12:00 / 23

Zen und ein Blick zurück nach Deutschland

Von Bernd Hoenig. Mit seiner Einzigartigkeit eröffnet mir Japan eine so überragende Lebensqualität, wie ich sie nirgends sonst fand. Was ich aus Deutschland höre und was…/ mehr

Gastautor / 07.08.2023 / 14:00 / 80

Brennpunkt-Schulen: Ein Lehrer klagt an

Von Rafael Castro. Als Berliner Lehrer weiß ich, dass die Missstände in der Integration weit mehr von „biodeutschen“ Verblendungen verursacht werden als vom Koran. Deutsche Tugenden…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com