Frank Stern
Kein Augstein, kein Terror, kein Klima – dafür eine Reise auf eine merkwürdige Insel am anderen Ende der Welt.
Ich weiß nicht mehr, wie wir eigentlich auf Tasmanien gekommen sind. Von unseren Freunden in Melbourne kam die Idee jedenfalls nicht. Tasmanien? lautete ihre erste Frage, als sie von unseren Reiseplänen hörten. Wieso das denn? Dabei hat die Insel vor Australiens Südküste mit ihren unberührten Wäldern, den kilometerlangen Stränden und Tierarten, die einem nirgendwo sonst unter die Reifen geraten, einiges zu bieten. Doch das Erste, was einem Australier zu dem Anhängsel im Süden einfällt, sind seine doppelköpfigen Bewohner. Wir sollten auf die Narbe am Hals der Einheimischen achten, wird uns aufgetragen. Aus ästhetischen Gründen werde den Tasmaniern nach der Geburt ein Kopf chirurgisch entfernt. Die Narbe zeuge von dem Eingriff.
Der Flug von Melbourne ins Land der Doppelköpfe dauert eine gute Stunde. Bei unserer Ankunft in Tasmaniens Hauptstadt Hobart scheint die Sonne. Es ist Frühling auf dieser Seite der Erdkugel, noch hat die Touristensaison nicht begonnen. Für den Besucher hat das den Vorteil, dass er die Insel quasi für sich hat. Der Nachteil ist das Wetter, das noch launischer ist als in diesen Breiten ohnehin üblich. Als wir unseren Mietwagen abholen, ist die Sonne verschwunden.
Man stelle sich ein Land von der Größe Bayerns vor, schöner nur und statt von zwölf Millionen Menschen von gerade mal 500.000 bevölkert. Das ist Tasmanien. Mehr als ein Drittel der Insel ist Naturschutzgebiet, und auch im Rest ist nicht viel los. Wer Einsamkeit sucht und Stille, wer der Hektik der Zivilisation für einige Zeit oder auf Dauer entsagen will, der könnte sich kaum einen besseren Winkel auf der Erde aussuchen. Die Hälfte der tasmanischen Bevölkerung lebt in Hobart. Etwas flussaufwärts von hier, in Risdon Cove, hatte 1803 die Besiedelung der Insel durch die Briten begonnen. Nicht etwa, weil sie das Eiland so unwiderstehlich fanden, sondern um den Franzosen zuvorzukommen, die angeblich schon auf dem Sprung waren.
Wir fahren zu unserem Motel und passieren dabei die geschwungene Tasmanbrücke über den Derwentfluss. Gegenüber schiebt sich Mount Wellington ins Blickfeld. 1836 brauchte Charles Darwin, der mit der HMS Beagle auf dem Rückweg von den Galapagos-Inseln in Hobart Station machte, zu Fuß fünf Stunden bis zum 1.270 Meter hohen Gipfel. Heute schafft man es im Auto in fünfzehn Minuten. Bei gutem Wetter reicht die Sicht bis zur Tasman-Halbinsel.
Normalerweise buche ich immer alles im Voraus. Flug, Mietwagen, Hotel – alles. Abenteuer ja, aber mit Dusche. Diesmal lasse ich es drauf ankommen. Als wir am nächsten Morgen in Hobart aufbrechen, sind wir uns nur über die Richtung im Klaren – nach Süden. Es ist erbärmlich kalt. Es regnet nicht richtig, aber dennoch fühlt sich alles feucht und klamm an. Den Einheimischen in Shorts und T-Shirt aber scheint das Wetter nichts anhaben zu können.
Schon ihre Ahnen, die in den Wäldern Tasmaniens, in Steinbrüchen und auf Farmen bei Wind und Wetter ihre Schuld gegenüber der Krone abtragen mussten, waren hart im Nehmen, wenn auch gezwungenermaßen. Insgesamt wurden zwischen 1803 und 1853, dem letzten Jahr der Deportationen, rund 73.000 Häftlinge von England nach Tasmanien verschifft. Nach Verbüßen ihrer Strafe siedelten sich die meisten davon auf der Insel an. Die Scham über das kriminelle Erbe ist bei ihren Nachfahren inzwischen weitgehend verflogen. Heute sehen die meisten Tasmanier eher mit Stolz auf die schwarzen Schafe in ihrer Familienchronik.
Außer vielleicht auf Robert Greenhill. Der war 1822 mit sieben Mitgefangenen von der Sträflingsinsel Sarah Island geflohen, einem gottverlassenen Winkel im Westen Tasmaniens. Als ihnen der Proviant ausging, spaltete Greenhill einem seiner Kameraden mit der Axt den Schädel und ließ ihn von seinem Kumpanen Matthew Travers mundgerecht zubereiten. Nach und nach schmolz die kulinarische Gemeinschaft auf drei zusammen, und nachdem Travers von einer Schlange gebissen worden war und nicht mehr weiter konnte, landete auch er auf dem Grill. Am Ende belauerten sich nur noch Greenhill und der irische Schuhdieb Alexander Pearce. Dann nickte Greenhill ein ...
Im zweiten Teil unserer Reise enthüllen wir, was es mit dem Platipus auf sich hat.
Dr. Frank Stern ist Journalist mit Themen-Schwerpunkt Asien-Pazifik.