Gastautor / 17.01.2013 / 14:49 / 0 / Seite ausdrucken

Ein Missbrauchsopfer wehrt sich

Klaus Bittermann

Jakob Augstein macht sich Sorgen, dass der Begriff Antisemitismus Schaden nehmen und »das Thema« »seine Würde« verlieren könne, weil er im Netz als »antisemitische Dreckschleuder« bezeichnet wurde. Der Vorwurf des Antisemitismus würde zu »inflationär« gebraucht, ja sogar »missbraucht«, wie in seinem Fall, weshalb Augstein genaugenommen sogar ein Mißbrauchsopfer ist.

Das ist rührend und auch sehr drollig. Augstein geriert sich als verfolgte Unschuld, weil eine Hand voll Leute sein kleines dreckiges Geheimnis verraten haben, während das gesamte deutsche Restfeuilleton wie ein Mann hinter ihm steht und sehr differenziert nachweist, dass Augstein kein Antisemit ist, denn er hat weder »Die Protokolle der Weisen von Zion« noch Hitlers »Mein Kampf« zu Hause im Bücherschrank stehen. Das hat Jan Fleischhauer persönlich überprüft. Und einen Juden hat Augstein auch noch nicht ernsthaft verletzt, eine rote Linie, die ein anderer Journalist entdeckt hat.

Es werden heute also hohe Erwartungshaltungen an einen echten Antisemiten gestellt. Und deshalb ist es auch so, dass es in Deutschland zwar bis zu 20 Prozent Antisemitismus gibt (darüber klären immer neue Studien und Umfragen auf), aber keine Antisemiten. Die gibt es, wie man sich im Feuilleton selten einig war, nur in den Wahnvorstellungen eines Henryk Broder. Broder aber ist der einzige in diesem Verein freier Geister, der ein exzellentes und fundiertes Buch über dieses seine »Würde« verlierende Thema Antisemitismus geschrieben hat (»Der ewige Antisemit«) und der der Obsession, Israel mindestens für »die Gefährdung des Weltfriedens« verantwortlich zu machen (und nicht etwa Teheran, Nordkorea, die Taliban oder Pakistan), nachgegangen ist, und zwar nicht weniger obsessiv.

Broder hat in einem »Offenen Brief« an Jakob Augstein einige der antisemitischen Klischees in dessen Kolumnen seziert und ist ihnen mit Argumenten zu Leibe gerückt, wie z.B. der Behauptung, Israel »brüte seine eigenen Gegner« aus, weil »1,7 Millionen Palästinenser, zusammengepfercht auf 360 Quadratkilometer«, hausen müssten wie in einem »Lager«, ein Schnitt, wie Broder nachgerechnet hat, von 4700 Menschen pro Quadratkilometer. In München sind es 4400 auf der gleichen Fläche. Natürlich sind die Zustände im Gazastreifen nicht so, dass man dort leben möchte, aber dafür ist in erster Linie die Hamas verantwortlich, nicht die Israelis. Augsteins Kritik ist nicht neu. In Blättern wie der »jungen Welt« oder der »taz« tauchen die Klischees über Israel ständig auf. Jetzt aber stellt das Restfeuilleton einem Antisemiten den Persilschein aus und sieht hinter den antisemitisch konnotierten Klischees berechtigte Israelkritik, die nur manchmal überzogen ist.

Es ist immer noch so, wie Wolfgang Pohrt einmal geschrieben hat, nämlich dass die Deutschen sich in der Rolle eines »Kinderschänders« besonders qualifiziert für den Job eines Erziehers fühlen, der die Juden genau beobachtet und darüber aufklärt, wie sie sich gegenüber den Palästinensern zu verhalten hätten. Inzwischen ist dieses Phänomen allerdings international. Nirgendwo auf der Welt verzeiht man den Juden Auschwitz. Nur die Diskussion darüber ist deutsch geblieben.

Immer noch wird jede Kritik dankbar aufgegriffen, um behaupten zu können, man dürfe Israel nicht kritisieren. Aber die Israel-Kritik eines Augstein ist längst Volkssport geworden, genauso wie der Glaube, man stehe mit dieser Kritik ganz allein auf weiter Flur und habe ganz fürchterlich gegen ein Tabu verstoßen.

Und dann kommt Jakob Augstein und sagt, der Begriff würde zu inflationär gebraucht und deshalb seine Bedeutung verlieren. Kann natürlich sein, daß Augstein das zu Hause im Selbstversuch herausgefunden hat, indem er den Begriff dauernd vor sich hin gesagt hat. Das wäre möglich. Mißbrauchsopfer tendieren bekanntlich zu manischen Handlungen. Dummerweise kann man einen Begriff nicht zu inflationär gebrauchen. Was Augstein meint, ihn falsch zu gebrauchen. Aber da kann Augstein beruhigt sein, denn in seinem Fall ist der Begriff richtig verwendet. Man nimmt dem Thema deshalb auch nicht seine »Würde«, wie Augstein mit typischem Nebelwerfervokabular behauptet. Man kann sich zu einem Thema auf unterschiedliche Weise äußern, eine Würde hat es nicht, oder höchstens, wenn Augstein seine Unfähigkeit, einen Gedanken zu fassen, nicht ausdrücken kann, damit er sich in Würde dahinter verstecken und Bedeutung simulieren kann, denn wenn schon die Kritik zum Ressentiment missrät, dann versteckt man sich gern hinter sprachlichen Blasen, die wenigstens ein ernstes Anliegen suggerieren sollen, ein Anliegen, über das Dolf Sternberger im »Wörterbuch des Unmenschen« schrieb, es verberge »unanständige Aufdringlichkeit«. Und dieses Gefühl stellt sich bei Augstein ein.

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