Jennifer Nathalie Pyka / 12.01.2013 / 15:36 / 0 / Seite ausdrucken

Ruprecht und das selektive Differenzieren

Ein unscheinbares Berliner Café ist der Ort, an dem sich erst neulich Freitag-Verleger Jakob Augstein und Ruprecht Polenz (CDU), Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses, zu einer außerordentlichen Krisensitzung verabredeten:

Jakob Augstein: „Herr Polenz, mir wird das alles zu viel. Eigentlich wollte ich ja nur Israel kritisieren, aber irgendwie ist da was schief gegangen, und jetzt halten mich alle für einen Antisemiten.“

Ruprecht Polenz: „Das kann doch jedem mal passieren. Künftig müssen Sie eben etwas geschickter vorgehen.“

JA: „Natürlich, aber wissen Sie, ich bin ja wirklich kein Antisemit. Und da dachte ich, eventuell könnten Sie als enger Freund Israels mal ein gutes Wort für mich einlegen …?“

RP: „Dieser Bitte komme ich gerne nach. Außerdem müssen doch gerade wir als Freunde Israels -“

JA: „… Israel kritisieren?“  (RP nickt mehrmals) „Sehe ich genauso. Und zusammenhalten müssen wir auch, also, sofern es Ihre Zeit nicht allzu sehr beansprucht.“

RP: „1. Machen Sie sich da mal keine Sorgen. 2. Der Auswärtige Ausschuss kommt gelegentlich auch ganz gut ohne mich aus. 3. Ich habe über 5000 Freunde bei Facebook, die ganz ähnlich wie Sie denken, für deren Beiträge ich aber NICHT verantwortlich bin. 4. Ich gehe sowieso bald in Rente.“

Zugegeben: Dieses Szenario ist natürlich frei erfunden. Wer aber in letzter Zeit mal auf Ruprecht Polenz‘ Facebook-Seite vorbeigeschaut hat, der weiß, dass es durchaus so oder so ähnlich stattgefunden haben könnte. Denn im Rennen um den Titel „Fleißigster Augstein-Groupie aller Zeiten“ hat der Münsteraner mittlerweile die pole position übernommen. ZfA-Mitarbeiterin Juliane Wetzel, ZDJ-Vize Salomon Korn, FAZ-Feuilleton-Chef Nils Minkmar, dessen Assistentin Alexandra Ayala Belopolsky u.v.m. – kaum ein Augstein-Verteidiger schaffte es, einer Zitation durch Ruprecht Polenz zu entgehen.

Sein Herz schlägt keineswegs nur für Kostümjuden. Auch das Schicksal des kritischen Journalisten macht ihm zu schaffen. Große Sorge bereiten ihm nicht etwa Augsteins Pamphlete, sondern „dass und wie Jakob Augstein auf eine Liste der zehn schlimmsten Antisemiten“ kam. Dessen Aussagen über Israel als größte Bedrohung des Weltfriedens seien nämlich „falsch, aber nicht notwendigerweise antisemitisch“. Antisemitisch wären sie erst dann, wenn Israel „also deshalb, weil [es] der Staat der Juden ist, die größte Bedrohung für den Weltfrieden“ sei. Davon habe „Augstein aber nicht gesprochen“. 

In der Tat, vielleicht meinte Augstein mit Israel wirklich nicht den Staat der Juden, sondern den der Araber, Drusen, Christen und Beduinen. Gemäß Polenz’scher Logik wären auch Klassiker wie „Die Juden sind unser Unglück“ zwar immer noch falsch, aber vielleicht gar nicht mehr antisemitisch, weil man ja nie sicher wissen kann, ob er auf Juden als Juden, oder auf Juden als Männer, Frauen und Vegetarier abzielt.

Selektives Differenzieren ist jedoch nicht die einzige Stärke des Münsteraners. Auch die Fähigkeit, Lehren aus der Vergangenheit zu ziehen, liegt ihm sehr: „Ich denke schon, dass wir Deutsche eine besondere Verpflichtung haben, gegen Antisemitismus vorzugehen“. Nur beim Antisemiten-Stadl auf seiner eigenen FB-Seite macht er gerne eine Ausnahme. Aktuell sind es ohnehin eher die „Gefahren eines ausufernden Antisemitismusbegriffs“, die ihm den Schlaf rauben:

„Kritisiert wurde Broder, weil er Augstein einen Antisemiten genannt hat. Das ist angesichts der deutschen Geschichte so ziemlich der schlimmste politische Vorwurf, den man jemandem machen kann. Broder geht mit diesem Vorwurf außerordentlich freigiebig um.“ (https://www.facebook.com/ruprecht.polenz/posts/198580650266663)

Ja, so ist er, der beste Freund, der Israel und allen Juden je passieren konnte. Um den Antisemitismus gebührend zu bekämpfen, macht er sich dafür stark, dass Antisemiten nicht mehr als solche bezeichnet werden dürfen. Und sollte dann immer noch ein Jude aufmucken, ruft Polenz ihn – gerade als Freund und Deutscher – höchst differenziert zur Ordnung. Natürlich hat der Ex-Generalsekretär nichts gegen Juden. Aber ein bisschen mehr Rücksicht auf die Deutschen und ihr Schicksal wünscht er sich offenbar schon von ihnen. Vor, neben und hinter den Gaskammern gestanden zu haben ist schließlich auch ein Trauma, das so schnell nicht vergeht.

Vor der letzten Konsequenz scheut sich der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses hingegen noch: den Juden offen zu empfehlen,  es doch endlich mal gut sein zu lassen und ihr nicht-jüdisches Umfeld nicht weiter zu provozieren. Aber sonst ist sein Engagement wirklich große Klasse. Wenn dafür nicht mal ein Gratis-Abo für den „Freitag“ rausspringt.

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Jennifer Nathalie Pyka / 19.01.2017 / 09:06 / 23

Die Leiden des Björn Höcke

Nachdem der Thüringer AfD-Chef Björn Höcke in einer Rede gegen die deutsche Erinnerungspolitik mobil machte und seine Anhänger auf einen „langen, entbehrungsreichen Weg zum absoluten…/ mehr

Jennifer Nathalie Pyka / 23.08.2016 / 06:00 / 15

Löschen bis die Feuerwehr kommt – ein sehr deutscher Brand

Die Löschpolitik des US-Unternehmens Facebook war schon bizarr und undurchsichtig, bevor deutsche Politiker ins „no hate speech!“-Fieber verfielen. Doch seit Heiko Maas den Kampf gegen…/ mehr

Jennifer Nathalie Pyka / 01.08.2016 / 06:15 / 10

Auf in den totalen Frieden

Die Bestürzung war groß, als im Januar 2015 mehrere Terroristen erst ein Blutbad in der Pariser „Charlie Hebdo“ Redaktion veranstalteten, nur um anschließend noch vier…/ mehr

Jennifer Nathalie Pyka / 22.07.2016 / 06:00 / 17

Das Kommando NoHateSpeech tritt zum Dienst an. Finanziert vom Familienministerium

Der Kampf gegen Hass und Hetze im Internet zählt zu den größten Herausforderungen des Jahrzehnts. Viel hat die Bundesregierung schon getan, doch noch viel mehr…/ mehr

Jennifer Nathalie Pyka / 20.07.2016 / 07:30 / 11

Im Reich der Mutmaßung glaubt man auch an Trauma-Therapien gegen den Dschihad

Es ist gut möglich, dass Historiker in einigen Jahrzehnten der Frage nachgehen werden, warum nicht wenige Deutsche mitsamt des SWRs auf das Attentat von Würzburg…/ mehr

Jennifer Nathalie Pyka / 07.07.2016 / 12:00 / 8

Das Familienministerium finanziert vieles, auch den Hass auf Juden

Im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gibt es immer etwas zu tun. Und Hausherrin Manuela Schwesig sorgt höchstpersönlich dafür, dass das auch so…/ mehr

Jennifer Nathalie Pyka / 27.06.2016 / 06:25 / 8

Großbritannien: Es fehlt nur noch die Reisewarnung

What a difference a day makes! Kaum haben in Großbritannien die Falschen über das Schicksal des Landes abgestimmt, schon zieht das Sturmtief Martin quer über…/ mehr

Jennifer Nathalie Pyka / 22.06.2016 / 09:16 / 4

Die Israelis sind unser Unglück!

Der Antisemit als solcher ist ein faszinierendes Wesen. Keine Hürde ist ihm zu hoch, kein Weg zu weit. Seit gut 2500 Jahren verfolgt er seine…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com