Rainer Bonhorst / 03.01.2013 / 23:50 / 0 / Seite ausdrucken

Thierses Türken

Der Frieden, der zwischen Wolfgang Thierse und den Schwaben ausgebrochen ist, kann nicht von Dauer sein. Er hat historisch zu tiefe Quellen und kann mit anderen Protagonisten jederzeit wieder aufbrechen.

Auf den ersten Blick sieht es so aus, als habe sich Thierse lediglich einer Zielverschiebung bedient. Da in Deutschland, zumal in Berlin, und ganz besonders am Prenzlauer Berg kritische Bemerkungen über türkische Mitbürger nicht zulässig sind, lenkt der Prenzlauer seine Kritik in Richtung Schwaben um. Er benutzt die Schwaben als kritisierbaren Türkenersatz, was die Forderung nach mehr Integration klar belegt.

Dies ist aber nur die Oberfläche des Thierse-Phänomens. Tatsächlich haben wir es mit einem Kontinuum zu tun, das unabhängig von der Person Thierse die deutsche Seelenlage beschreibt. Die Anfänge des Konflikts sind in der zweiten Lautverschiebung zu finden. Sie lässt sich an einigen Linien, unter anderen an der Benrather Linie festmachen. Südlich dieser Linien fand die Verschiebung statt, nördlich der Linien hat man die Verschiebung verweigert. Und das ist des Pudels Kern.

Thierse nannte die Schwaben beim Namen, er hätte aber ebenso die Bayern nennen können, deren Integration in Berlin ja auch zu wünschen übrig lässt. Tatsächlich hat sich in Berlin die Döner-Tasche besser in den Alltag eingepasst als es Spätzle und Schweinsbraten jemals gelingen wird. Lediglich das ebenfalls südlich der Benrather Linie beheimatete Wiener Schnitzel hat in dem einen oder anderen politischen Szene-Restaurant Kult-Status erworben.

Wir haben es mit einer deutschen Teilung zu tun, die Nord von Süd tiefer trennt,  als es die kurzlebige West-Ost-Teilung jemals konnte. Die Bayern sprechen nicht ganz korrekt und etwas egozentrisch vom Weißwurst-Äquator. Wir sollten besser von der Maken-Machen-Linie oder der Dat-Das-Linie sprechen.

Diese große Kontinentalspaltung, die zwischen den Platt- oder Niederdeutschen (in Bayern auch Preußen genannt) und den Oberdeutschen verläuft, trennt Deutschland nicht nur in Lautverschieber und Lautverschiebungsverweigerer. Sie verbindet obendrein die Süddeutschen mit den Schweizern und den Österreichern. Der in Österreich gern zitierte Piefke ist eher ein Thierse als ein Seehofer. Dieser gilt allerdings wegen seines deutschen Passes als mitgefangen, also auch als mitgehangen.

Die Bildung eines Alpenstaates mit erweiterten Voralpenländern im Norden wie im Süden würde diesem Problem entgegen wirken, hat aber bisher noch keine konkreten Formen angenommen. Bayern könnte es, wie wir lesen, zwar auch allein, aber mit den anderen würde es mehr Spaß machen.

Martin Luther ist bei seiner Bibelübersetzung das Nord-Süd-Problem angegangen, indem er die sächsische Kanzleisprache wählte, und damit seinen Lesern eine gemeinsames Kompromiss-Idiom anbot. Dieses deutsche Esperanto wirkt zwar ein bisschen steif, weshalb viele Sänger lieber Dialekt singen. Und manchem Schweizer, der Hochdeutsch spricht, kommt das vor, als spräche er Latein. Trotzdem muss Luthers Hochdeutsch als ein Erfolg gelten. Es ist heute mehr denn je auf dem Vormarsch und es scheint die Dat-Das-Sprachtrennung zu verdrängen.

Umso heftiger brechen immer wieder die Mentalitätsunterschiede auf, die seit Jahrhunderten mit der Sprachgrenze einhergehen. Die Dat-Das-Grenze oder Det-Dös-Grenze mag sich verwischen, die Kluft zwischen den Seelenlagen diesseits und jenseits des alten Sprachäquators sind zu tief, als dass sie mit der Sprachverwischung untergingen.

Heute kommt hinzu, dass die Süddeutschen inzwischen die Reichen sind, während Berlin wert darauf legt, arm aber sexy zu sein. Geld kann zwar auch sexy sein oder machen, aber das scheint mit den Schwaben in Berlin nicht zu klappen. Sie gelten trotz oder wegen ihres Wohlstands als hausbacken. Die Bayern versuchen es mit Bier und fescher Dirndl- sowie Wadlschoner-Mode. Das ist aller Ehren wert. Aber werden sie jemals so sexy sein wie Wolfgang Thierse? Kaum. Es wächst einfach nicht zusammen, was nicht zusammen gehört.

Wolfgang Thierse will mit einer Pilgerreise in den Süden versuchen, Frieden zu stiften. Er wird auf dieser Reise einem weiteren Integrationsproblem begegnen, ausgelöst durch die ungebremste Nordflucht. Millionen Norddeutsche, ob Wirtschafts- oder Klimaflüchtlinge, strömen bekanntlich aus ihrer krisen- und regengeschüttelten Heimat in den Süden, um dort ihr Glück zu suchen. Dann müssen sie feststellen, dass der Sprachintegrator Luther nur halbe Arbeit geleistet hat. Die Zuwanderer stoßen, wenn sie Berliner Ballen statt Krapfen bestellen, bei der süddeutsch integrierten türkischen Bedienung auf verständnislose Blicke. Sie stehen ratlos vor Maultaschen und Blaukraut, vor Wecken und Semmeln, Spätzle und Knödeln und kein Integrationsbeauftragter hilft ihnen.

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