Die aktuelle Ausgabe der Branchenzeitschrift „Fremdenverkehrswirtschaft“ enthält eine doppelseitige Anzeige der Organisation „Hamburg Tourismus“. Darin bedanken sich die Tourismuspromoter bei der Reiseindustrie für das Jahresergebnis von zehn Millionen Übernachtungen. Ein Rekord, der Hamburg in die Top Ten der meist besuchten Städte Europas aufsteigen lässt. Zehn Millionen Nächtigungen, das bringt einen hübschen Batzen Geld, den die Besucher 2012 in Hamburger Herbergen, Lokalitäten und Läden und somit auch in die Steuerkasse schaufelten. Geld, mit denen die Hamburger z.B. ihr Netz sozialer Wohltaten und ihre einfach nicht fertig werden wollende, bereits jetzt achtmal teurer als ursprünglich veranschlagte Elbphilharmonie bezahlen können. Letztere ist das Brackwasser-Pendant zum Berliner Flughafendesaster.
Dank schulden sie, Hamburgs Promoter, vor allem einem Mann namens Friedrich Kurz. Der kommt in der Anzeige nicht vor, hatte jedoch 1986 den Hamburger Musical-Boom gezündet und damit einen Grundstein gelegt für den seither ständig steigenden Besucherstrom. Kaum einer kennt Kurz, anders als den reichlich überschätzten Hamburger Zeichnerfreak Horst Janssen. Und die sich an Kurz noch vage erinnern, halten ihn für einen gerissenen Impresario, der sich an Hamburg eine goldene Nase verdiente. Der Fall ist exemplarisch für die bräsige Ignoranz eines sozialdemokratisch geprägten Stadtmilieus, das meint, die Staatsknete käme aus der Bundesdruckerei und der Strom aus der Steckdose.
Ich muss mich da einschließen. Anno 1986 hatte ich mit dem damals 38jährigen Kurz, ein Mensch mit schillernder Vita, zeitweise Lebensgefährte der fabelhaften Sängerin Gitte Haenning, indirekt zu tun. „Fritz the cat“, wie er bald genannt wurde, hatte damals das Operettenhaus Hamburg am Eingang zur Reeperbahn für einen Spottpreis vom Liegenschaftsbesitzer, der Stadt Hamburg, vermietet bekommen. Vielleicht hat er den seinerzeit maroden Schuppen auch gänzlich mietfrei gekriegt, ich erinnere das nicht genau. Kurz hatte einen Plan vorlegt, das Traditionshaus mit einem Knaller zu reanimieren, der in London schon große Erfolge feierte: Andrew Lloyd Webbers Musical „Cats“.
In aufrechten Sozenkreisen - auch in der Redaktion des Magazins, das mich beschäftigte -, war man empört. Wirtschaftsförderung wurde dort mit Geldverbrennung gleichgesetzt. Natürlich schrie niemand auf, wenn Jahr für Jahr stolze Summen in die Förderung von Theatern gesteckt wurden, die teils sonderbare Nackt-Inszenierungen ablieferten, welche nur eine klitzekleine Minderheit der Hanseaten goutierte. Das galt als Hochkulturförderung, daran war nicht zu rütteln. Dass man aber einem Mann quasi Geld schenkte, damit er mit angelsächsischem Musicaltrash die doofen Massen beglücken konnte, war damals ein Aufreger. In meinen Ressort „Kultur und Unterhaltung“ beschlossen wir jedenfalls, schwerstkritisch dagegen zu halten. Der Katzenfritz war, nebenbei bemerkt, auch nicht gerade ein angenehmer Zeitgenosse und zeigte zudem keinerlei Respekt vor der Deutungsmacht eines auflagestarken Presseorgans.
Wir recherchierten fleißig. Das Stück über Kurz & Cats erschien. Doch lag darauf kein Segen. Fritz die Katze nahm sich einen cleveren Anwalt. Es gingen Schriftsätze hin und her und es gab eine Gegendarstellung. Was im Journalismus freilich kein Beinbruch ist – wer die juristische Formen einhält, kann praktisch alles gegendarstellen. Aber einige Punkte durften wir so, wie sie im Blatt formuliert worden waren, nicht wiederholen. Das tat weh. Trotzdem fühlten wir uns politisch-moralisch im Recht. Die Stadt dealte mit einem Kapitalisten, einem „Profitgeier“ - ging gar nicht. Dass die Stadt Hamburg auch mit den gewalttätigen Hausbesetzern an der Hafenstraße Miet-Deals abschloss, störte uns nicht. Das waren Antikapitalisten, das ging in Ordnung.
Es dauerte noch ein Weilchen, bis ich kapierte, dass bestimmte, für alle Seiten nützliche Geschäfte schon mal in der Art funktionieren, dass die staatliche Seite in Vorleistung tritt. Natürlich geht das nicht immer gut, aber manchmal eben doch. Noch länger dauerte es, bis mir klar wurde, dass die geschmähte Sucht nach Profit ein wahrer Segen sein kann. Zum Beispiel für die Staatskasse! In unserem Fall für die hanseatische Stadtstaatskasse.
Es ist nämlich so, dass es hierzulande eher zu wenige Profitsüchtige gibt. Und zu viele Leute, in deren Wirtschaftsleben niemals Profite anfallen, sondern nur Verluste, welche immerfort sozialisiert werden müssen. Im Ergebnis verhält es sich dann so, dass die einen das Manko der anderen kompensieren helfen. Irgendwie, auch wenn die Profitgeier das überhaupt nicht intendieren. Gewöhnlich läuft die Chose über drei Ecken, vier Finanzämter und die wundersamen Schienen der Sozialindustrie.
Das Kurz’sche Katzentheater lief in Hamburg volle 15 Jahre lang. Es schuf eine neue Form von Stadttourismus, die Menschen aus ganz Deutschland nach Hamburg lockte. Folgten weitere Bühnen, mit Aufführungen wie „Mamma Mia!“, „Ich war noch niemals in New York“, „Sister Act“, „König der Löwen“, „Das Phantom der Oper“, „Tarzan“ und anderen Dauerbrennern des Musicalgeschäfts. In Hamburg klingeln die Kassen bis heute.
Kurz hatte damit nichts mehr zu tun. Aber eigentlich war alles sein Ding. Er übernahm sich später, verfiel dem Höhenrausch, stürzte mit „Carrie“ am Broadway spektakulär ab, schrieb über seine Ups und Downs ein Buch, wie der tief gefallene Hendlkönig Jahn (auch er ein Steuerngenerator von Rang) es vor ihm getan hatte. Noch später erfand sich Kurz als Christenmensch neu. Für 2014 plant er ein Musical in Dresden. Über Michelangelo.
Wie immer das Dresden-Projekt ausgehen mag: Bis hierher schönen Dank, Katzenfritz!