Oliver Marc Hartwich, Gastautor / 23.12.2012 / 21:44 / 0 / Seite ausdrucken

Vier Gründe, warum die Eurokrise noch nicht vorbei ist

Falls Sie es noch nicht bemerkt hatten: die Eurokrise ist vorbei. Das muss daran liegen, dass der EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso, der EZB-Präsident Mario Draghi und der französische Staatspräsident François Hollande das in den letzten sechs Monaten alle gesagt haben.

Auch die IWF-Chefin Christine Lagarde behauptete, in der Eurokrise sei ein Wendepunkt erreicht worden. Leider hatte sie das schon im Januar 2011 gesagt, als sie noch französische Finanzministerin war.

Diesmal könnte es allerdings tatsächlich anders aussehen. Seit die EZB Mitte 2012 ihre Bereitschaft zu unbegrenzten Interventionen zur Rettung des Euro signalisierte, hat die Krise etwas von ihrer Dringlichkeit verloren. Die Verbesserung ist sogar in mehrerer Hinsicht messbar.

Nach Angaben des Münchner Wirtschaftsforschungsinstituts Ifo ist die Summe der Rettungszusagen von Mitgliedern der Eurozone sowie von EZB und IWF in den letzten sechs Monaten zurückgegangen.

Der Hauptgrund dafür ist eine leichte Abschwächung der Target2-Forderungen innerhalb des Eurosystems. Die Forderungen der deutschen Bundesbank erreichten im August mit 751 Mrd. € ihren Höchststand, sind seither jedoch auf 715 Mrd. € im November gesunken. Das sieht zwar positiv aus, bedeutet jedoch gegenüber dem Vorjahr eine Steigerung um 220 Mrd. €. Auch unabhängig davon ist es immer noch eine gigantische Zahl.

Das Ende der Eurokrise wird auch in den Google-Datensätzen erkennbar. Die Website Google Trends ist ein nützliches Instrument zur Analyse der Interessen von Internetnutzern.

Wenig überraschend war, dass die Suchanfragen für ‘Eurokrise’ erstmals im Mai 2010, als das erste Rettungspaket für Griechenland vereinbart wurde, besonders hoch stiegen. Dann ließ das Interesse nach, bis die Eurokrise im November 2011 mit Befürchtungen hinsichtlich Spanien und Italien erneut virulent wurde. Bis zu den griechischen Parlamentswahlen im Juni 2012 waren die Suchanfragen dann rückläufig und gegenwärtig stehen sie wieder relativ niedrig.

Die Abschwächung der Eurokrise lässt sich auch an der Entwicklung der langfristigen Zinsen in der Eurozone messen, die seit dem dritten Quartal 2011 zurückgehen. Zugleich verbesserte sich in den einzelnen Staaten die Haushaltslage, so dass sich die Defizite in Prozent des BIP verringerten, wenn auch nur marginal.

Wenn also Barroso, Hollande und andere europäische Politiker uns glauben machen wollen, die Eurokrise sei vorbei, können sie als Beleg für ihre Behauptungen auf einige wenige positive Entwicklungen verweisen. Aber bedeutet das wirklich, dass 2013 das Jahr sein wird, in dem Europa endlich zum „Business as usual“ zurückkehrt?

Zweifel an einem solchen positiven Szenario sind nach wie vor angebracht - aus mindestens vier Gründen. Erstens haben sich die bisherigen Hoffnungen auf ‘zarte grüne Triebe’ sämtlich als kurzlebig erwiesen. Zweitens lässt sich die derzeitige finanzielle Beruhigung nicht in einen realökonomischen Aufschwung umsetzen. Drittens bleiben die politischen Unwägbarkeiten überall in Europa hoch. Viertens ist das Versprechen der EZB, den Euro um jeden Preis zu retten, letzten Endes vielleicht doch nicht glaubhaft.

Der erste Grund zum Zweifel am Euro-Optimismus hat mit dem zyklischen Charakter der Eurokrise zu tun. Wir waren schon mehr als einmal am gleichen Punkt wie jetzt. In den letzten Jahren gab es keinen Mangel an ‘Durchbrüchen’ in der Krise, keiner jedoch war von Dauer. Europas Währungs- und Staatsschuldenkrise ist ein Monster an Komplexität, das sollte bisher deutlich geworden sein. Falls sie je gelöst wird, dann nur über einen sehr langen Zeitraum, aber ganz sicher nicht über Nacht.

Der zweite Grund: Selbst wenn Finanzdaten auf eine Gesamtverbesserung hindeuten, so berührt diese noch nicht die ‘Realwirtschaft’. Es ist schon ziemlich bizarr, dass einerseits über ein Ende der Eurokrise gesprochen wird und andererseits die EZB gerade ihre Wachstumsprognose für die Eurozone gesenkt hat.

Die bisherige Prognose der EZB lag bei 0,5 Prozent BIP-Wachstum in der Eurozone; Anfang dieses Monats erklärte EZB-Präsident Draghi hingegen, ein Wachstum von mehr als 0,3 Prozent im kommenden Jahr sei unwahrscheinlich und die Wirtschaft könne letztlich sogar um 0,9 Prozent zurückgehen. Mit einem solchen „Wachstum“ (falls man es so nennen kann) ist eine wesentliche Verbesserung der europäischen Staatsverschuldung nur schwer vorstellbar. Allenfalls wird der Berg der öffentlichen Schulden in Europa noch weiter wachsen. Wenn die Europäer Glück haben, ist das Einzige, was sinkt, die Geschwindigkeit ihres Schuldenwachstums – vorausgesetzt, die Sparmaßnahmen greifen.

Drittens kommen noch genügend weitere Faktoren in der europäischen Politik erschwerend hinzu, durch die das Krisenmanagement 2013 komplizierter wird als 2012. Dazu gehören vor allem die Parlamentswahlen in zwei großen Ländern des Euroraums, Italien und Deutschland. Die Zukunft der Währungsunion wird in beiden Ländern bei der Wahl eine wichtige Rolle spielen. Wie ich bereits früher erläuterte, kann sie in Italien sogar eine Debatte über die weitere Mitgliedschaft Italiens anregen (Berlusconi kämpft für eine Befreiung Italiens, 13. Dezember), während die Bundestagswahlen in Deutschland jede sinnvolle Umschuldung für Griechenland verzögern werden (Merkels politische Fiktion für Griechenlands Zukunft, 22. November).

Viertens bleibt ein großes Fragezeichen hinter der Ankündigung der EZB, den Euro um jeden Preis zu verteidigen. Die EZB hat kein Mandat, den Euro - geschweige denn einzelne Länder des Euroraums - vor dem Zusammenbruch zu bewahren. Es kann nicht einmal ausgeschlossen werden, dass die Rechtmäßigkeit des EZB-Vorstoßes vor Gericht angefochten wird. Die EZB könnte aber auch aus politischen Gründen Schwierigkeiten haben, ihr Versprechen zu halten.

Solange die Verbraucherpreise stabil und die Inflationserwartungen niedrig bleiben, kann die EZB ohne weiteres versprechen, den Euro um jeden Preis zu verteidigen - denn dieser Preis ist kaum sichtbar. Wenn jedoch der Aktivismus der EZB sich schließlich in Preissteigerungen niederschlägt, wird es sehr viel schwerer für Europas Zentralbanker, ihre Zusagen einzuhalten.

Die europäische Öffentlichkeit, vor allem in Nordeuropa, ist seit jeher äußerst empfindlich, was Preisstabilität angeht, und das begrenzt den Handlungsspielraum der EZB. Wie wahrscheinlich ist es eigentlich, dass die EZB weiterhin Banken und Regierungen retten kann, wenn der Geist der Inflation erst einmal aus der Flasche entwichen ist?

Aus diesen Gründen ist es verfrüht, ein Ende der Eurokrise zu verkünden. Dabei haben wir noch nicht einmal über die strukturellen Unterschiede zwischen den Mitgliedern der Eurozone gesprochen, die die eigentliche Ursache der Eurokrise sind und sich seit deren erstem Ausbruch nicht wesentlich verändert haben. Ebensowenig haben wir die politischen Folgen eines griechischen Staatsbankrotts berücksichtigt, der für die mitteleuropäischen Steuerzahler sehr teuer würde. Am allerwenigsten haben wir überhaupt die strukturellen und demografischen Probleme erwähnt, die über der Wirtschaft Europas hängen wie ein Damoklesschwert.

Nein, die Eurokrise ist noch nicht überstanden. Durch Wunschdenken ist Europa in seine Krise hineingeraten. Aber es wird nicht durch Wunschdenken wieder hinausfinden.

Mit dieser eher pessimistischen Feststellung: Frohe Weihnachten Ihnen allen - und ein besseres Neues Jahr. Warum können die Euro-Optimisten nicht zur Abwechslung einmal Recht haben?

Dr. Oliver Marc Hartwich ist Executive Director der The New Zealand Initiative.

‘Four reasons the euro crisis isn’t over’ erschien zuerst in Business Spectator (Melbourne), 20. Dezember 2012. Aus dem Englischen von Cornelia Kähler (Fachübersetzungen - Wirtschaft, Recht, Finanzen).

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