Maxeiner & Miersch / 22.12.2012 / 11:50 / 0 / Seite ausdrucken

Eine Berliner Weihnachtsgeschichte

Es begab sich zu der Zeit, da Angela Merkel Bundeskanzlerin in Deutschland war, dass Maxeiner und Miersch über Armut und soziale Kälte sprachen. „Wie“, hob Miersch an, „glaubst Du wohl, würde es Maria und Josef ergehen, wenn sie statt in Bethlehem in der Kälte des heutigen Berlin nach einer Bleibe für die Nacht suchen müssten?“

Sehr wahrscheinlich würden sie ein warmes Plätzchen finden, sprach Maxeiner, nur die Unterbringung des Esels wäre problematisch. In der deutschen Hauptstadt existieren 180 Einrichtungen für Obdachlose. Statt einem dunklen Stall und einem Lager aus Stroh stehen dort zwischen fünf und 170 Betten, außerdem Sanitärräume und Duschen.  Erstaunt würde das mittellose Paar feststellen, dass die Herbergsväter sogar untereinander um möglichst viele Schlafgäste konkurrieren. Erst nach vier Nächten müssten Maria und Josef einem Ausweis oder eine andere Legitimation vorzeigen.

Zur Geburt des Heilands würde Maria in Windesseile in ein Krankenhaus gefahren,  in dem sich gut ausgebildetes Fachpersonal um Mutter und Kind kümmert. Auch Hunger oder Durst müssten das junge Paar nicht leiden, denn jeder Obdachlose bekommt von Amtes wegen, 12,50 Euro Tagegeld, er muss sie nur abholen.

Würde die beiden in Berlin bleiben wollen und eine dauerhafte Bleibe suchen, so müssten sie sich an das Sozialamt oder das Jobcenter wenden, um eine solche zugewiesen zu bekommen. Mit dem dann festen Wohnsitz hätte das junge Paar aus Nazareth auch Anspruch auf die Grundsicherung durch ALG II.

Angesichts dessen würden die Hirten Gott für alles preisen, was sie gehört und gesehen haben. Die Engel griffen samt der himmlischen Heerscharen zu den Posaunen, um die frohe Botschaft von den historischen Leistungen des deutschen Sozialwesens in alle Welt zu tragen: „Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens“.

Maria und Josef hätten ferner auf eine Vielzahl von Einrichtungen der Zivilgesellschaft zurückgreifen können: Suppenküchen, Tafeln, Kleiderkammern und Möbellager. Nur eines hätte die beiden Obdachlosen sehr verwundert: Dass diese Weihnachtsgeschichte niemand hören will.

Erschienen in DIE WELT am 21.12.2012

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