Oliver Marc Hartwich, Gastautor / 29.11.2012 / 19:39 / 0 / Seite ausdrucken

The Times, it is a changin’

Das war noch ein anderes Zeitalter: Die vage Aussicht, im Internet Geld verdienen zu können, genügte, um Milliarden Dollar locker zu machen. Politische Wissenschaftler glaubten noch an das Ende der Geschichte und den endgültigen Triumph der liberalen Demokratie. Der „Millennium Bug“ hatte uns nicht in die prädigitale Steinzeit zurückkatapultiert. Und Europa bereitete sich auf die Einführung seiner glitzernden neuen Währung vor - des Euro.

Kurz gesagt, das Jahr 2000 war von großem Optimismus geprägt. Dem entsprach auch, dass damals ein ehrgeiziges Projekt begann: die Einführung einer neuen Wirtschaftszeitung für Deutschland. Als lokale Version der profilierten Financial Times (FT) gedacht, war die Financial Times Deutschland (FTD) erstmals am 21. Februar 2000 im Zeitschriftenhandel erhältlich.

Was damals nur wenige Leute vorhergesagt hätten: Die FTD war die letzte traditionelle nationale Zeitung, die in Westeuropa gegründet wurde. Die ganze Zeit über war sie nie rentabel, sondern kostete ihre Eigentümer im Laufe ihres Bestehens geschätzte 250 Mio. Euro.

Nun wurde es dem Verlag zu viel: Am Freitag, dem 7. Dezember, wird die letzte Ausgabe der FTD erscheinen. Mehr als 300 Wirtschaftsjournalisten verlieren ihren Arbeitsplatz.

Die FTD ist natürlich nicht die erste Zeitung, die in letzter Zeit eingestellt wird. Allein in Deutschland hat sich die Anzahl der veröffentlichten Zeitungstitel von 426 im Jahr 1992 auf 333 zwanzig Jahre später verringert. Zugleich ist die verkaufte Auflage der Tageszeitungen von fast 27 Millionen auf etwas über 18 Millionen eingebrochen.

Was die Pleite der FTD jedoch so spektakulär macht, ist die enorme Diskrepanz zwischen den beträchtlichen Ressourcen, die ihr zur Verfügung standen,  und den damit erzielten dürftigen wirtschaftlichen Ergebnissen. Wenn nicht einmal ein überaus anspruchsvolles und bestens ausgestattetes Projekt wie die FTD erfolgreich sein kann, welche Aussichten bestehen dann für andere Zeitungen?

Es lag sicher nicht an mangelnden Finanzen oder Kompetenzen, dass die FTD niemals in Schwung kam. Ihr Gründungsherausgeber war niemand anders als Andrew Gowers. Der erfahrene FT-Journalist Gowers, der fließend Deutsch spricht, zog 1998 nach Hamburg, um eine Blaupause des FT-Originals zu entwickeln – oder besser gesagt (ganz konkret) eine lachsfarbene Pause.

Offenbar waren die Herausgeber der FT von Gowers’ Arbeit so beeindruckt, dass er im Oktober 2001 Chefredakteur der FT wurde. (Später wurde der arme Gowers Leiter der PR-Abteilung von Lehman Brothers - vor dem Zusammenbruch der Bank - und war als nächstes verantwortlich für die unglückselige Kommunikationsstrategie von BP während der „Deepwater Horizon“-Katastrophe. Aber das sind andere Geschichten und nicht unbedingt als Fluch der FTD zu betrachten.)

Zu Gowers’ Nachfolgern bei der FTD zählten einige der fähigsten deutschen Journalisten, darunter FT- und Business Spectator-Kolumnist Wolfgang Münchau. Keinem von ihnen gelang es jedoch, die Zeitung in die Gewinnzone zu führen.

Nur der Geduld und der Finanzkraft ihrer Eigentümer war es zu verdanken, dass die FTD immerhin zwölf Jahre überlebte: Nachdem der Verlag der Londoner FT seine Beteiligung 2008 verkaufte, war die FTD im Mehrheitsbesitz der Bertelsmann AG, eines der größten Medienkonzerne der Welt.

Bertelsmann gehört auch zu den etabliertesten und erfahrensten Printverlagen Deutschlands. Über seine Tochtergesellschaft Gruner+Jahr besitzt das Unternehmen mehrere Wirtschaftsmagazine, die jedoch ebenfalls seit vielen Jahren mit mangelnder Rentabilität zu kämpfen haben. Um für sie alle die Wende einzuleiten, legte Bertelsmann 2009 seine Nachrichtenredaktionen zusammen, um die Effizienz zu verbessern und Synergien zu nutzen.

All das erwies sich als Wunschdenken – ebenso wie die Maßnahme, für einige der FTD-Artikel eine Bezahlung zu verlangen. Es gab kaum eine Online-Strategie, die die FTD nicht ausprobiert hätte: Elektronische Newsletters, Smartphone-Apps, Podcasts, Blogs. Trotz alledem konnte sie ihre traditioneller arbeitende Konkurrenzzeitung Handelsblatt - das deutsche Gegenstück zur Australian Financial Review – zu keinem Zeitpunkt überholen, nicht einmal online.

Damit nicht genug, wurden gegen Ende ihres Bestehens die meisten Exemplare der FTD nicht mehr verkauft, sondern verschenkt. Etwas über 3.400 Exemplare wurden tatsächlich am Zeitungskiosk verkauft; dem standen 42.000 Abonnements und verblüffende 54.000 kostenlose Exemplare für Flugreisende entgegen. Offensichtlich waren die Leute nur dadurch dazu zu bringen, etwas zu lesen, was viele Beobachter nach wie vor als hochwertige Wirtschaftszeitung betrachteten, dass man diese kostenlos ausgab – übrigens auch nahezu werbefrei. Für Werbekunden war die FTD fast zur No-go-Area geworden. Niemand will in einer sterbenden Zeitung werben, für die keiner Geld ausgeben will.

Obwohl die Artikel meist gut und für eine seriöse Zeitung oft auch bemerkenswert humorvoll geschrieben waren, lag das Hauptproblem mit dem Inhalt der FTD in ihrer manchmal bizarren politischen Orientierung. Ein typischer Artikel in den ersten Jahren nach dem Erscheinen kritisierte die Deutschen dafür, dass sie ihre Wirtschaft reformierten, während andere europäische Länder keine Anstalten dazu machten. Ein traditioneller eingestelltes Wirtschaftsblatt hätte es umgekehrt gesehen.

Die FTD war stets darauf erpicht, anders zu sein - aus Prinzip und manchmal ein wenig pubertär anmutend. Die Zeitung wurde weniger für die New Economy als für alte Keynesianer geschrieben. In einem ihrer letzten Leitartikel vermochte sie sogar zu erklären, warum die französische Wirtschaft viel robuster ist, als die meisten Analysten – und auch die Zeitschrift The Economist - annehmen. Die FTD-typische Schlagzeile dazu: Vive la résistance! Andererseits war es so, auch wenn man ihr nicht beipflichtete, dass die FTD meistens Denkanstöße lieferte.

Letztlich scheiterte die FTD also nicht an Mangel an Geld, Ambitionen, Kompetenz, Persönlichkeiten, Geduld, Kreativität oder Humor. Sie ging unter, weil mit ihr nun das Ende des traditionellen (Print-)Zeitungsgeschäfts eingeläutet wird. Die jüngsten, zuletzt gegründeten Zeitungen wie die FTD gehören zu den ersten Opfern des Zeitungssterbens. Die etablierteren Druckerzeugnisse werden folgen, wenn ihre Leserschaft ausstirbt. Setzen sich die gegenwärtigen Trends fort, so wird die letzte gedruckte Zeitung in Deutschland etwa im Jahr 2030 verkauft werden.

Bedeutet dies das Ende des Journalismus? Natürlich nicht. Die FTD führt lediglich das Ende eines alten, traditionellen Geschäftsmodells vor. Ein Modell, das in jenen optimistischen Tagen des heraufdämmernden neuen Jahrtausends noch vielversprechend wirkte - dessen Zeit aber bereits damals abgelaufen war. Es wusste nur noch niemand.

Wäre nur ein Bruchteil der Investitionen von Bertelsmann in die FTD in den Aufbau einer originellen, laufend aktualisierten, 24 Stunden täglich abrufbaren Website mit Wirtschaftsnachrichten und Kommentaren geflossen, hätte das Ergebnis vielleicht ganz anders ausgesehen.

Und Deutschland hätte inzwischen seine eigene Version des Business Spectator gehabt – statt einer missglückten und in Kürze erloschenen Kopie der Financial Times.

Dr. Oliver Marc Hartwich ist Executive Director der The New Zealand Initiative.

‘The Times, it is a changin’‘  erschien zuerst in Business Spectator (Melbourne), 29. November 2012. Aus dem Englischen von Cornelia Kähler (Fachübersetzungen - Wirtschaft, Recht, Finanzen).

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