Die Wahl von Katrin-Göring Eckhardt zur Spitzenkandidatin war erst der Anfang eines Generationen- und Richtungswandels bei den Grünen. Die Altlinke Claudia Roth wird auf dem Parteitag noch einmal getröstet. Doch ihre Zeit ist ebenso vorbei wie die Fixierung auf Rot-grün.
Eigentlich sollte der Grünen-Parteitag in Hannover nur das Wahlkampfjahr eröffnen. Nun aber fallen ihm zwei unerwartete Rollen zu. Zum einen muss die schwer verwundete Parteichefin Claudia Roth getröstet und in rhetorische Riesenliebeswatte gepackt werden. Zum anderen werden die Schleusen zum Gezeitenwechsel der Partei geöffnet. Denn Sigmar Gabriel mag den Grünen im Gestus eines fauchenden Stiefvaters noch so streng untersagen, mit Angela Merkel und einer schwarz-grünen Zukunft zu flirten. Sie werden es trotzdem tun.
Der Abschied von linken Fixierungen hat nicht erst mit der sensationellen Ur-Wahl der Kirchenfrau Katrin Göring-Eckart begonnen. Schon der Aufstieg von Winfried Kretschmann zum Ministerpräsidenten in Baden-Württemberg hat die Verbürgerlichung der Partei in einem Maße verfestigt, das nun auch die politische Perpsektive prägt.
Immer offener fordert die jüngere Generation eine Öffnung der Partei zur Mitte. So hat die 35-jährige Landeschefin der Grünen in Hamburg (traditionell linker als die süddeutschen Landesverbände) in dieser Woche gefordert, die Partei müsse für eine Regierungsbeteiligung mit Angela Merkel offen sein. Katharina Fegeband sagt damit, was die Mehrheit der grünen Basis längst denkt: “Ausschließeritis haben wir nicht nötig und engt unnötig ein.” Und für den fordernden Gabriel hat Fegeband gleich eine Ohrfeige parat: “Ich finde es eine ziemliche Anmaßung, dass Sigmar Gabriel von uns fordert, dass wir Schwarz-Grün unbedingt ausschließen sollen, während die Sozialdemokraten notfalls auch in eine große Koalition gehen würden.” Ihre Parole für das Wahljahr: “Mehr Mut zu grüner Eigenständigkeit: Wir sind doch keine “Bindestrich-Partei”.”
Wo immer man bei den Grünen dieser Tage hinhört. Die Zeiten der Künasts und Roths, der linken Empörungskultur und Selbstverzwergung hinter den Sozialdemokraten ist vorbei. Stattdessen greift die Kretschmannisierung um sich. Parteigrößen wie Boris Palmer, Cem Özdemir und eben Katrin Göring-Eckart haben den grünen Avantgardehut derzeit auf. Und selbst die Straßenrevoluzzer-Urgesteine wie Daniel Cohn-Bendit mahnen plötzlich: Man solle sich unbedingt auf Schwarz-grün vorbereiten.
Die Aktion “Streichelzoo für Claudia Roth” hat daher nurmehr menschliche, aber keine politische Bedeutung mehr. Auch der Vorstoß von Jürgen Trittin, mit übertriebenen Besteuerungsplänen einen linken Pflock einzuschlagen, wirkt mehr wie Verhandlungstaktik. In Wahrheit treten die Grünen als Partei in eine dritte Lebensphase ein. Nach der anarchischen Geburts- und Jugendzeit als Protestbewegung gab es die Erwachsenwerdung als linke Partei. Nun bahnt sich eine dritte Etappe als bürgerliche Lebens-Lounge der Mitte an.
Die Wählerschaft ist schon jetzt so bürgerlich wie die der Union, sie umfaßt jenes Milieu von wohlsituierten Bioladen-Kunden, von sentimentalen Manufactum-Freunden, von beamteten Hybridautofahrern. Deren Lebenswelt ist wertekonservativ, fortschritts- und technologieskeptisch, sie sind bildungsorientiert und verteidigen auf Elternabenden den Religionsunterricht und das Schulorchester wie einst die CDU-Mütter.
Die Kretschmannisierung der Grünen wird auf machtpolitischer Ebene durch zwei Umstände beschleunigt: Zum einen hat die SPD mit Peer Steinbrück einen Kandidaten ins Feld geschickt, der mit Grünen (und insbesondere mit grünen Frauen) nun so gar nicht kann - und der obendrein seinen Wahlkampfstart mit Nebengeschäftsaffären grandios verstolpert hat. Zum anderen wirkt die Bundeskanzlerin wie die perfekte Koalitionspartnerin für Grüne. Ihr Weltbild ist mit dem von Katrin Göring-Eckard oder Winfried Kretschmann verwandt. Und sie hat das letzte große Hindernis einer schwarz-grünen Zukunft mit dem Atomausstieg Deutschlands aus dem Weg geräumt. Claudia Roth bekommt bei der Vorstellung zwar noch Zuckungen. Ihre Partei aber nicht mehr.
Zuerst erschienen bei Handelsblatt Online