Auf ein Bild können wir uns im Vorfeld der Klimagipfelkonferenz der UN in Doha jetzt schon gefasst machen. Wenn es in der Hauptstadt Katars dann am 26. November los geht, werden wir uns davor nicht mehr retten können: Den Eisbär, der einsam auf einer schmelzenden Scholle treibt und uns nur eines vermitteln soll: Er hat keine Chance, seine Art wird aussterben, weil der Mensch das Klima anheizt. Wie einst beim Baum heißt es heute: Erst stirbt der Bär und dann der Mensch. Nicht weniger als die Weltenrettung nahm daher auch SPD-Chef Sigmar Gabriel für sich in Anspruch, als er vor Jahren Patenonkel von Eisbär Knut in Berlin wurde. Knut ist längst tot, allerdings behauptet niemand, er sei von der Erderwärmung dahingerafft.
Geradezu wohltuend war es deshalb, dass kürzlich eine TerraX-Sendung (im ZDF, man sehe und staune!) die Dinge ein wenig zurechtgerückt hat und dabei auf die neuesten Forschungsergebnisse hinwies. Die Art Ursus Maritimus (so heißt sie übrigens, und nicht, wie man meinen könnte Ursus Glaciens) gibt es bereits seit etwa 600.000 Jahren. Vor so langer Zeit hat sich der Eisbär vom Braunbär genetisch getrennt. Dies hatte eine Forschergruppe um den US-amerikanischen Evolutionsbiologen Frank Hailer durch Blutproben an Bären ermittelt und in der Zeitschrift Science veröffentlicht. Und das ist für die Debatte um die Zukunft des Eisbären in einer wärmeren Welt nicht ganz unbedeutend.
Noch bis vor einigen Jahren ging man davon aus, dass beide Bärenarten vor etwa 200.000 Jahren noch eine gemeinsame bildeten. Schon damals war somit eigentlich klar, dass der Eisbär im hohen Norden mindestens eine ganz gehörige Warmzeit mit womöglich sechs Grad höheren Temperaturen als heute überlebt haben musste. Eine Erkenntnis, die die These des zwangsläufigen Aussterbens sehr in Frage stellte. Sie war ohnehin eine fragwürdig, da sich die Populationen in der Arktis in den letzten vier Jahrzehnten in Durchschnitt etwa vervierfacht haben, nachdem die Jagd auf diese Tiere eingeschränkt wurde.
An die große Glocke hingen deshalb diejenigen, die von der These des Aussterbens nicht lassen wollten, zwischenzeitliche Forschungen, die angeblich ergaben, dass der Eisbär sich vom Braunbär erst vor 140.000 Jahren getrennt habe. Damit hätte er fast ausschließlich in einer Eiszeit gelebt, abgesehen von zwischenzeitlichen Klimaoptima wie zur Römerzeit oder im Mittelalter. Zoologen waren diesbezüglich bereits skeptisch, weil dies für eine Art, die einen neuen Lebensraum erobert, reichlich kurz bemessen wäre.
Nun also die neuen Forschungen von Hailer. Der Wissenschaftler sagt zwar, die lange Zeit von 600.000 Jahren bedeute eben auch, dass man vom Eisbären keine allzu schnellen klimatischen Anpassungen erwarten könnte. Und dass zu möglichen Belastungen durch Erwärmung ud Eisschwund heute auch die Einschränkung seines Lebensraums durch die Menschen als Problem hinzukäme. Ein gewichtiges Argument. Allerdings haben die vergangenen vier Jahrzehnte gezeigt, dass sein Schutzstatus durch den Menschen gehörig geholfen hat.
Was aber noch wichtiger ist: Innerhalb der letzten 600.000 Jahre gab es mindestens vier Perioden, in denen die Temperatur um 2,5 bis sechs Grad wärmer war als heute und in denen der arktische Eisschild ganz oder fast verschwunden war – alles offenbar ohne langfristige Folgen für die Eisbärenpopulation. Die Messungen stammen zwar vom anderen Ende der Welt, aus Eisbohrkernen in der Antarktis (Wostok und EPICA), es handelte sich allerdings um Perioden von jeweils mehreren tausend Jahren, die globale Bedeutung hatten. Messungen aus Grönland reichen – wegen der geringeren Eisdicke – nur bis 123.000 Jahre zurück.
Es lohnt ohnedies, einmal die Grafik der antarktischen Eisbohrkerne näher anzuschauen. Mit schöner Regelmäßigkeit schossen da im Abstand von grob gerechnet 80.000 Jahren die Temperaturen gewaltig in die Höhe (und in deren Folge übrigens, stets nachlaufend, die CO2-Werte in der Atmosphäre). Eigentlich wäre es jetzt wieder einmal so weit. Und tatsächlich: Seit Ende der letzten Eiszeit vor etwa 15.000 Jahren gingen die Temperaturen auch wieder steil in die Höhe – allerdings knickte die Kurve vor etwa 10.000 Jahren – und lange vor Erreichen der früheren Spitzen – in einen erheblich flacheren Verlauf ab, um im vergangenen Jahrtausend um etwa ein, zwei Grad zu schwanken, mit zwei Steigerungsperioden auch im vergangenen Jahrhundert, jeweils etwa zwanzig bis 30 Jahre lang.
Die abgeknickte Kurve zeigt: Im Vergleich zu den früheren Spitzen geht es auf einem Niveau von etwa drei Grad weniger heute nicht mehr recht nach oben weiter, veraharrt es auf erheblich niedrigerem Niveau. Die Warner unter den Klimaforschern behaupten nun, die Faktoren, die früher in schöner Regelmäßigkeit stets zu den Temperaturspitzen führten, lägen im heutigen Zyklus allesamt nicht mehr vor, aber wenn der Mensch nun durch seine CO2-Emissionen eingreife, würde alles nur noch schlimmer – der Blick in die Vergangenheit gibt dies allerdings nicht her, allein die Computersimulationen aus den Großrechnern.
Zuerst erschienen auf Ulli Kulkes Blog in der WELT