Berlin schlägt Alarm: Die Stadt säuft ab. Ende vergangener Woche sprachen die Experten Sätze aus, die schon vermuten lassen, die deutsche Hauptstadt stehe am falschen Ort: Die Situation mit dem Grundwasser sei „siedlungsunverträglich“, heißt es. Es steigt und steigt. In vielen Kellern bilden sich Wasserpfützen, mancher läuft langsam voll, die Fundamente werden feucht. Eine schleichende Naturkatastrophe zeichnet sich ab.
Wie immer die erste Vermutung: Ist der Klimawandel daran Schuld? In dem Fall hat er tatsächlich damit zu tun. Nein, nicht etwa ein Wandel, den wir tatsächlich beobachten würden. Aber der, der in den Köpfen stattfindet, der sorgt nämlich indirekt für den dramatisch steigenden Pegel. Dabei dürfte das Grundwasser laut Klimaforschung eigentlich gar nicht steigen, es müsste vielmehr sinken. Jedenfalls nach ihren Projektionen und Simulationen, die für den Osten Deutschlands Dürre, Austrocknung und Verwüstung vorhersagen. Mit Fug und Recht kann man jedenfalls sagen: Endlich haben wir hier mal eine tatsächlich menschengemachte Naturkatastrophe, mitverursacht durch in Deutschland geradezu zwanghaftes Wassersparen.
Früher, da sah man die Brüder Franz und Fritzen zu zweit in einer Wanne sitzen. Das Bad am Samstagabend, von Wilhelm Busch in Szene gesetzt, als guter Brauch. Das können wir uns heute nicht mehr leisten, als Weltmeister: Kein Volk rund um die Welt hat es so weit gebracht beim Wassersparen. Nirgendwo ist der Verbrauch so abgefallen wie hier, seit 1990 um etwa ein Sechstel. Nicht zuletzt deshalb zahlen wir auch Spitzenpreise fürs Wasser. In Berlin fiel der Wasserverbrauch sogar um fast die Hälfte und nach Ansicht der Experten ist das durchaus eine Ursache für die steigenden Pegel. Da fragt man sich schon, wie die Rede sein kann von der Austrocknung Ostdeutschlands, wenn es offenbar des Menschen bedarf, um das Grundwasser einigermaßen unten zu halten. Auch in Brandenburg steigt es schon seit Jahren. Nix Verwüstung, eher Versumpfung!
Neun von zehn Deutschen sind laut Forsa-Umfrage bereit, aus Umweltgründen statt eines Vollbades eine Dusche zu nehmen. Weil sie seit den Achtzigerjahren all den gutmeinenden Parolen nicht mehr ausweichen können: ob auf Plakaten, in Anzeigen oder im Ratgeber für ökologisch sauberes Alltagsverhalten für Groß oder Klein: Wasser sparen für die Umwelt, angereichert mit vielfachen Tipps. Spartaste bei der WC-Spülung, Hahn abdrehen beim Zähneputzen oder Einseifen. Und natürlich mit staatlichen Zuschüssen: Sie flossen für den Einbau von Regenwassernutzungsanlagen, für Zisternen, die das so kostbare Nass vom Dach in einen zweiten Kreislauf im Hause leiten.
Der Umwelt zuliebe, der Zukunft zuliebe, weil es doch angeblich immer trockener wird, müssen wir Wasser sparen. Und dann noch die internationale Verantwortung: Bilder von dürstenden Bewohnern des Sahel, Aufrechnungen über die ungleiche Wasserverteilung rund um den Globus, Szenarien von Kriegen ums Wasser bereiten uns schlechtes Gewissen beim Rasensprengen, Autowaschen oder – das frivolste – beim Befüllen des Pools. Der Begriff vom “blauen Gold”, in Anlehnung an das “schwarze Gold”, suggeriert, dass bei unserer Verschwendung nach dem Öl bald das Wasser ausgehen werde.
Natürlich ist in vielen Weltregionen das Wassersparen äußerst dringlich, dort wo es wenig regnet und die Landwirtschaft viel braucht, und wo der Verbrauch heute oft noch nicht einmal Gebühren kostet. In unseren Breiten aber kann uns das Wasser nicht ausgehen, und zwar nicht nur in Berlin und Brandenburg. Wir verbrauchen das Wasser nicht, wir gebrauchen es. Es wird uns, egal, wie viel wir nutzen, Tropfen für Tropfen im ewigen Kreislauf zurückgebracht. Vom Himmel, aus Bächen, aus der Tiefe des Bodens und, ja doch, auch aus dem Hahn. Anders als der viel zitierte Strom aus der Steckdose, der erst noch produziert werden muss. Der natürliche Wasserumsatz bei uns ist dank robuster, kraftvoller Natur etwa fünfmal so hoch wie unsere vorübergehende Entnahme zum Gebrauch. Weltweit nutzt der Mensch etwa zwei Prozent des Süßwasserumlaufs.
Natürlich muss das Wasser gereinigt werden, mit Aufwand und Kosten. Der Dreck allerdings bleibt der Selbe, egal in wie viel Wasser er gelöst ist. Ist es weniger, wird der Aufwand nicht geringer, im Gegenteil.
Und natürlich, die Wasserrechnung: Wir können unsere persönlichen Gebühren senken, wenn wir Wasser sparen, lautet da ein Argument. Das stimmt für jeden einzelnen, insgesamt aber geht die Rechnung nicht auf. Wenn alle sparen, bleiben die Ausgaben für alle gleich, weil die Literpreise entsprechend steigen (abgesehen davon, dass manche Wasserwerke auch über Gebühr kassieren). Die Kostenstruktur der Wasserwerke weist jedenfalls fast ausschließlich – zu 90 Prozent – Fixkosten auf, die anfallen, um die Rohrleitungen zu unterhalten, und den Dreck heraus zu klären, unabhängig von der Wassermenge. Angesichts dessen wäre eigentlich eine Flatrate für jeden Haushalt angebracht, egal wie groß der ist. Manche Wasserwerke dachten auch schon darüber nach. Sie befürchten jedoch, dass die Haushalte dann allzu kreativ ihre gegenseitige Abgrenzung unkontrollierbar neu ordnen.
Vor 50, 60 Jahren hat man in Erwartung stetig steigenden Verbrauchs tief unter die Straßen gewaltig dicke Rohre verlegt, die 100 Jahre halten sollen, vor allem in Berlin. Die aber verrotten nun, wenn nur Rinnsale hindurchfließen – und müssen durch aufwendige, kostenintensive Spülungen ständig gereinigt werden. Mit sauberem Trinkwasser, das nun kubikmeterweise durch diese Rohre gejagt wird – weil wir es beim Zähneputzen für die Umwelt sparen. Und wir jagen unsere Wasserrechnung hoch und lassen die Keller volllaufen.
In Deutschland ist Wassersparen gesamtgesellschaftlicher Unsinn. Geboren aus einer diffusen Haltung heraus, die den Verzicht als solchen für ethisch geboten hält, egal worauf gerade verzichtet werden soll. Und aus einer schon nicht mehr diffusen, sondern törichten Befürchtung, dass wir bald in einer Steppe und wenig später in einer Wüste leben werden.
Zuerst erschienen auf Ulli Kulkes Blog bei der WELT