Silvia Meixner / 16.10.2012 / 21:45 / 0 / Seite ausdrucken

Silvis Culture Club (29): Die Angst der Banausen vor dem E-Book

Wer nimmt mir die schwere Last des E-Books von der Seele? Wer rettet mich vor der German Schwermut, die mich überfiel, als ich jüngst Radio hörte? Wer gibt mir den Glauben an die Schönheit des Lesens wieder?

Leider habe ich es in diesem Jahr nicht zur Buchmesse geschafft, macht nichts, dachte ich mir, es gibt zum Glück ja Radio. Ich hätte doch hinfahren sollen. Oder das Radio ausgeschaltet lassen. Im sonst von mir geschätzten Deutschland-Radio allerdings wurde die Lust aufs Lesen nicht gerade gefördert. Das Thema E-Book wurde verquast und wie Aussatz behandelt. In einer Sendung, den Titel habe ich freundlicherweise vergessen, wurde die offensichtlich größte Bedrohung der Menschheit seit Erfindung der Atombombe von „Experten“ auf höchst seltsame Weise betrachtet und was noch an Absurdität fehlte, durften dann die Hörer – live und per Mail (ist das nicht wahnsinnig gefährlich, Mails werden doch wie E-Books virtuell verbreitet?) – mit ihren Fragen abdecken.

Gemeinsam durften sich alle redlich fürchten, zum Beispiel davor, ob ein E-Book die Augen nun mehr schädigt als ein herkömmliches Buch. Ich finde, ein Buch schädigt schlimmstenfalls das Gehirn, aber ich habe dann doch nicht bei D-Radio angerufen, um das geradezurücken. Ich fürchtete, dass man mich nicht verstehen und abwürgen, oder, noch schlimmer, auflegen würde. Der Moderator, dessen Namen ich freundlicherweise vergessen habe, entblödete sich nicht, eindringlich bei einem Experten nachzufragen, warum denn so ein E-Book, das schließlich nur mit ein paar MB daherflattere, fast so viel kostet wie ein Druckexemplar. Wenn es einen Preis (ein schönes E-Book vielleicht?) für die dümmste Journalistenfrage des Jahres gäbe, hier wäre ein passabler Kandidat.

Nach reiflicher Überlegung bin ich zu dem Schluss gekommen, dass die ganze Urheberrechtsdebatte im Internet wenig bis nichts bringen wird. Die Menschheit teilt sich in exakt zwei Gruppen: Jene, die geistigen Inhalt produzieren (in der Unterzahl) und jene, die ihn konsumieren (die Masse). Möglichst gratis. Da erscheinen 2,99 oder zwölf Euro für ein E-Book, an dem ein Autor monate- oder jahrelang saß, Geist und Herzblut investierte, natürlich als sehr unverschämte Forderung. Ich bin dazu übergegangen, diese seichten E-Book-Diskussionen, die meist mit „Sie sind ja Journalistin, wie sehen Sie das denn…?“ beginnen, rigoros abzukürzen.

Ich frage die Leute dann nach ihrem Beruf und wie sie es fänden, wenn man einem Steuerberater oder Handwerker, statt die Rechnung zu überweisen, die Auskunft gäbe: „Sie beschäftigen sich doch so gern mit Zahlen, wahlweise verstopften Klos oder kaputten Keilriemen, es ist doch toll, wenn ich Ihren Service nutze, ich empfehle Sie auch gern weiter, das muss reichen. Okay, vielleicht überweise ich Ihnen drei Euro, aber mehr dürfen Sie wirklich nicht erwarten.“

Die Leute sehen mich dann meistens verdutzt an, vielleicht denken sie auch, dass ich meschugge bin, aber als Schreiber ist das völlig egal, man ist ja sowieso nicht richtig im Kopf, sonst würde man etwas „Richtiges“ oder, noch besser, etwas „Ordentliches“ machen. Ich hoffe, dass die Steuerberater und Handwerker im stillen Kämmerlein dann ein bisschen nachdenken, aber viel Hoffnung hege ich eigentlich nicht. Noch mehr hoffe ich, dass sie während der Buchmesse nicht D-Radio gehört haben, denn dann sind meine Versuche natürlich zunichte gemacht.

Die ganze Schwere des Abendlandes legte sich über die Fachgespräche, der Höhepunkt der Idiotie war, als ein Moderator einen Verleger im Gespräch bedeutungsschwer und mit aller Ernsthaftigkeit, die so ein Radiostudio gerade noch erträgt ohne zu explodieren, fragte: „Ich habe mich immer schon gefragt, wie viel so ein Messestand kostet.“ Es war ein geduldiger Verleger, vermutlich freute er sich über ein bisschen PR, aber eigentlich hätte er aufstehen und gehen müssen. Für einen Journalisten sollte es einfach sein, herauszufinden, was ein Messestand kostet, normalerweise reicht eine Anfrage bei der Pressestelle des Messeunternehmens.

Preise für Messestände sind öffentlich, Messeveranstalter leben davon, Stände per Quadratmeterpreis zu vermieten. Wie die Sendung ausging, weiß ich nicht, weil ich dann spontan Mozart hören wollte anstatt diesem Blödsinn weiter zu lauschen. Leider sind solche Sendungen mit solchen Moderatoren nicht dazu angetan, die Liebe zum Buch zu fördern oder gar zu wecken.

Die Jammerei wider das E-Book ist unsäglich, man könnte meinen, die Pest wäre ausgebrochen im Buchstabenland. Verleger fürchten um Macht und Geld, Autoren freuen sich, weil sie diesen Mechanismen, wenn sie sich aufs E-Book verlegen, nicht mehr bedingungslos ausgeliefert sind. Mit Erfindung des Internet wurde der baldige Tod von Zeitungen und Büchern vorausgesagt. Wir lesen nach wie vor Zeitungen und Bücher, aber auch Online-Magazine und E-Books. Und wenn ich lese, dass zum Beispiel Kinder in Afrika oder Indien, die sonst wenig Chancen auf Bildung haben, via Internet Zugang zu Bildung bekommen, der vor 20 Jahren noch undenkbar gewesen wäre, dann freut mich das. Fragen Sie die mal, ob sie lieber ein E-Book oder eine Printausgabe lesen, es wird ihnen egal sein. Ich finde, dass es wichtig ist, dass Menschen überhaupt etwas lesen, wie sie es machen, ist nebensächlich.

Dass die Piraten in der Wählergunst in den vergangenen Monaten dermaßen abgeschmiert sind, dass niemand sie mehr fürchten muss, liegt vermutlich auch an der sinnlosen Diskussion über Internet-Rechte. Natürlich fänden es alle Hersteller geistigen Inhalts schön, wenn es klare Regeln und Gesetze gäbe. Leider hat man das bei Erfindung des Internet „vergessen“, dieses Versäumnis aufzuholen, wird schwierig bis unmöglich. Autoren sind ein zähes Völkchen, die gehen auch mal kellnern oder suchen sich einen Zweitjob, wenn es mit der Miete eng wird.

Demnächst erscheint mein erstes E-Book. „Achterbahn“- Berliner Kurzgeschichten. Skurril, schräg, total beängstigend. Ich kann potenziellen Lesern nur raten: Bezahlen Sie die 2,99 Euro. Sonst bekomme ich ganz schlechte Laune.

Silvia Meixner ist Journalistin und Herausgeberin von http://www.good-stories.de

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