Oliver Marc Hartwich, Gastautor / 08.10.2012 / 22:54 / 0 / Seite ausdrucken

Der unbemerkte Erfolg der schwedischen Marktwirtschaft

Ganz Europa ist ein wirtschaftliches Katastrophengebiet. Ganz Europa? Nun ja, nicht ganz.

In einem kleinen Land gleich außerhalb der Eurozone leistet ein unbeugsamer Haufen Schweden Widerstand gegen die Mächte der Eurodämmerung und der Finsternis. Sie beweisen, dass sich mit einer sinnvollen Kombination aus freien Märkten, soliden öffentlichen Finanzen und einer hohen Arbeitsmoral immer noch positive wirtschaftliche und soziale Ergebnisse erzielen lassen - selbst in Europa.

Zumindest lautet so die optimistische Zusammenfassung eines kürzlich vom Londoner Institute of Economic Affairs (IEA) veröffentlichten Diskussionspapiers. 

Nima Sanandaji, ein schwedischer Autor mit kurdisch-iranischen Wurzeln, vertritt in dem Beitrag „The surprising ingredients of Swedish success – free markets and social cohesion“ die Ansicht, Schweden sei deshalb erfolgreicher als andere europäische Volkswirtschaften, weil es in etlichen Punkten wirtschaftlich liberaler ist als seine Nachbarländer.

Sanandajis Arbeit ist in mehr als einer Hinsicht überraschend. Schweden wird oft als Modell einer sozialdemokratischen Utopie betrachtet, nicht als Bastion marktwirtschaftlichen Denkens.

Meist schaut die koffeinfreie Sojamilch-Latte schlürfende linksgerichtete Intelligentsia der Welt ja auf Schweden, wenn sie mal wieder eine Inspiration braucht. Lob für Schweden erwartet man jedoch nicht gerade von einer Veröffentlichung des IEA – eines Instituts, dessen historischer Ruhmesanspruch sich auf seine Rolle als treibende intellektuelle Kraft hinter Margaret Thatchers Wirtschaftsreformen in den 1980er Jahren gründet. Und nun feiert das IEA die schwedische Folkshemmet-Gesellschaft, den Wohlfahrtsstaat als „Volksheim“?

Wenn Sie sich Schweden genauer anschauen, werden Sie feststellen, dass das Land außer in der internationalen Wahrnehmung keineswegs ein semi-sozialistisches Paradies ist und der Welt mehr zu bieten hat als IKEA, die Millennium-Trilogie und ABBA. Schweden hat die ökonomischen Stürme der Finanzkrise bemerkenswert gut überstanden und kann den weniger glücklichen Ländern in Europa und der Welt nützliche Erfahrungen vermitteln.

Vielleicht der größte einzelne Irrtum, was Schweden betrifft, ist die Annahme, es sei seit jeher eine vom Staat dominierte Gesellschaft. Es stimmt zwar, dass in Schwedens sozio-ökonomischem System der Staat über eine lange Periode der Nachkriegsgeschichte - etwa von den 1950ern bis zu den 1980ern - die zentrale Rolle spielte. Davor war Schweden eine recht liberale Gesellschaft und in letzter Zeit hat sich im Land ein tiefgreifender wirtschaftlicher Reformprozess vollzogen.

Sanandaji erinnert seine Leser daran, dass Schweden erst mit der Entstehung des Wohlfahrtsstaats reich wurde, der heute ein Synonym des Landes ist. Seine agrarische, nach innen gerichtete Gesellschaft wandelte sich durch die wirtschaftlichen Liberalisierungen des 19. Jahrhunderts zu einer dynamischen Marktwirtschaft. Im nächsten Jahrhundert entstanden dann in einem Klima wirtschaftsfreundlicher Regelungen und niedriger Steuern viele der bekanntesten Unternehmen und Marken des Landes, darunter IKEA, Volvo, Tetra Pak und Ericsson.

1950 betrug das Steueraufkommen in Schweden 21 Prozent des BIP, während es in vielen anderen Industrieländern bereits über der 30-Prozent-Marke stand. Auch nach weltweiten Standards war Schweden wohlhabend: Bis Mitte der 1970er Jahre gehörte es zu den vier reichsten OECD-Volkswirtschaften.

Im Laufe von drei Jahrzehnten überwiegend sozialdemokratischer Herrschaft stiegen jedoch die Staatsausgaben ständig an und die Steuern erhöhten sich drastisch. Astrid Lindgren, die Autorin von Pippi Langstrumpf, löste 1976 eine breite Diskussion über das schwedische Steuersystem aus, als sie nachwies, dass ihr persönlicher Grenzsteuersatz schließlich bei 102 Prozent lag. Kein Wunder, dass Schweden unter solchen Bedingungen bis Anfang der 1990er Jahre auf den 14. Platz der OECD-Länder abrutschte.

Weniger bekannt als Schwedens frühere Einkommensteuer- und Staatsausgabenexzesse ist hingegen der Weg, auf dem das Land diese überwinden konnte. In den letzten 20 Jahren hat Schweden weitreichende Wirtschaftsreformen durchgeführt. Diese haben das Land zwar nicht gerade in eine Steueroase verwandelt, aber viele andere Bereiche der Wirtschaft liberalisiert.

Schwedens Bildungssystem beispielsweise arbeitet heute mit Schulgutscheinen, die mehr Auswahl ermöglichen. Die Rentenversicherung wurde teilprivatisiert, so dass die Schweden nun eine bessere Kontrolle über ihre Altersversorgung haben. Auch im Arbeitsmarkt wurden erhebliche politische Änderungen vorgenommen, wie etwa eine Lockerung des Kündigungsschutzes und die Kürzung von Leistungen aus der Sozialversicherung.

Alle diese Reformen bewirkten eine kontinuierliche Verbesserung der schwedischen Position im internationalen Ranking für wirtschaftliche Freiheit.

Der Economic Freedom Index der Heritage Foundation und der Index of Economic Freedom des Fraser Institute verzeichnen die gleichen Ergebnisse. Bis Mitte der 1990er Jahre war Schweden mit weitem Abstand das am wenigsten wirtschaftsliberale skandinavische Land und lag meilenweit hinter den USA und Großbritannien zurück. Heute steht es gleichauf mit seinen Nachbarn und nicht weit hinter den USA und ist vielleicht sogar ein wenig liberaler als Großbritannien. Daran wird zweierlei deutlich: ein Niedergang des wirtschaftlichen Liberalismus in aller Welt und ein starker Reformwille in Schweden selbst.

Schwedens liberalere Politik verzeichnet aktuell gute wirtschaftliche Ergebnisse. Vom Schock der Weltwirtschaftskrise erholte sich das Land mit Wachstumsraten von 6,1 Prozent im Jahr 2010 und 3,9 Prozent im Jahr 2011. Die Staatsverschuldung, die 1993 mit 73,3 Prozent des BIP ihren höchsten Stand erreicht hatte, ging sogar während der Finanzkrise zurück und steht heute bei 38,4 Prozent. Auch einen Teil des früheren Absturzes in den OECD-Rankings konnte Schweden wieder wettmachen.

Diese positiven Resultate der schwedischen Reformerfahrungen müssten für andere europäische Länder, die ähnliche Wirtschaftsreformen noch vor sich haben, unbedingt ermutigend wirken.

Aus australischer Sicht ist vor allem ein Nebenaspekt in Sanandajis Arbeit bemerkenswert. Abschließend stellt er fest: „Die schwedische Gesellschaft entfernt sich nicht ausdrücklich von der Idee des Wohlfahrtsstaats, sondern setzt kontinuierliche Reformen um, mit denen wirtschaftliche Freiheit und Arbeitsanreize im Rahmen des Sozialsystems verstärkt werden. Diese Trends sind auch in Finnland und Dänemark erkennbar - nur das ölreiche Norwegen bildet eine Ausnahme.“

Er hat insofern Recht, als Norwegen durch die Segnungen der Bodenschätze von der Entwicklung seiner skandinavischen Nachbarn zur wirtschaftlichen Liberalisierung abgekoppelt wurde – vor allem wohl deshalb, weil die Norweger sich dank ihres Ressourcenbooms einen üppigen Staatsapparat noch leisten können. Die Norweger lassen nicht nur ihren Sozialstaat unangetastet, sondern bringen ihre Öl- und Gaseinnahmen sogar in einen Staatsfonds ein, um das Wohlfahrtssystem in gleichem Umfang auch dann erhalten zu können, wenn ihre Ressourcen zu Ende gehen.

Berücksichtigt man Schwedens bemerkenswerte Wirtschaftsleistung während der Weltfinanzkrise, die es ganz ohne „Petrodollars“ erzielte, kann kaum ein Zweifel daran bestehen, welches dieser beiden skandinavischen Länder die bessere Wirtschaftspolitik betreibt. Im Vergleich dazu ähnelt Australien ebenso eindeutig eher dem üppigen norwegischen als dem effizienten schwedischen Staat.

Dr. Oliver Marc Hartwich ist Executive Director der The New Zealand Initiative. Nima Sanandajs „The surprising ingredients of Swedish success – free markets and social cohesion“ ist zu finden unter www.iea.org.uk.

‘Sweden’s secret free market success’ erschien zuerst in Business Spectator (Melbourne), 4. Oktober 2012. Aus dem Englischen von Cornelia Kähler (Fachübersetzungen - Wirtschaft, Recht, Finanzen).

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