Gastautor / 06.10.2012 / 12:37 / 0 / Seite ausdrucken

Ledo Road – Straße durch die grüne Hölle

Frank Stern

Vor 70 Jahren begannen US-Truppen mit dem Bau einer 750 Kilometer langen Straße durch den burmesischen Dschungel, über die China im Kampf gegen Japan mit kriegswichtigem Gerät versorgt werden sollte. Ein Mammutwerk, das über 1.100 Amerikaner das Leben kostete und sich am Ende als nahezu nutzlos erweisen sollte. Als die Urwaldpiste fertig war, war der Krieg so gut wie vorbei.

Winston Churchill hatte es kommen sehen. Die Dschungelstraße durch Nordburma sei ein gewaltiges Projekt, das man wohl erst vollenden werde, wenn es dafür keinen Bedarf mehr gebe, hatte der britische Kriegspremier die Amerikaner gewarnt. Dass er am Ende damit Recht behielt, machte ihn bei seinen Alliierten nicht beliebter. „Er hat uns nicht gerade ermutigt“, sagt Robert Warriner, der damals als junger US-Offizier in Burma eine Einheit schwarzer Bausoldaten befehligte. Schon ein Jahr nach Kriegsende war von der Ledo Road, benannt nach ihrem indischen Ausgangsort, nicht mehr viel zu sehen – Monsun und Dschungel hatten die Spuren ihrer Erbauer nahezu getilgt.

Mehr als 1.100 US-Soldaten kamen beim Bau der Straße ums Leben, stürzten in Schluchten, wurden unter Felslawinen begraben oder von Wassermassen in den Tod gerissen. 70 Jahre nach den Ereignissen sind auch die meisten von denen abgetreten, die den Knochenjob damals halbwegs heil überstanden hatten. Einer der wenigen, die noch aus eigener Erinnerung vom Leben und Sterben im Dschungel berichten können, ist Robert Warriner, ein freundlicher alter Herr mit einem feinen Sinn für Humor und einer derart aus der Mode gekommenen Brille, das es schon wieder Stil hat.

Warriner, heute ist er 91, wohnt am Rande von Albuquerque im US-Bundesstaat New Mexico in einer von einer weißen Mauer abgeschirmten Reihenhaussiedlung. Seine Frau Helen starb vor 15 Jahren, seitdem lebt er allein in dem Haus. 1946 hatten sie geheiratet – ein Jahr, nachdem er aus Burma zurückgekehrt war. Private Herman Perry, einer von den rund 10.000 schwarzen Soldaten, die die US-Armee beim Bau der Ledo Road einsetzte, war da schon längst tot. Wobei er nicht etwa einem Unfall, einem Tiger oder den Tücken einer Krankheit zum Opfer fiel. Perry wurde gehängt. Doch dazu später.

Robert Warriner war 22, als er Ende 1943 auf einem Truppentransporter von Newport News in Virginia Richtung Asien aus ablegte. Dass er und seine Kameraden sich wenige Wochen später auf einem der blutigsten Schlachtfelder des 2. Weltkriegs wiederfinden würden, auf dem britische und amerikanische Dschungelkämpfer zusammen mit eingeborenen Kopfjägern gegen fanatische Kamikaze-Soldaten antraten, ahnte er zu diesem Zeitpunkt noch nicht. „Wir erfuhren erst bei unserer Ankunft in Indien, wohin es gehen sollte“, sagt er.

Im Frühjahr 1942 hatten die Japaner, die zuvor schon die Philippinen, Indonesien und Malaysia überrannt hatten, auch Burma erobert und damit die Versorgung der chinesischen Armee über die letzte noch offene Nachschublinie gekappt. Um zu verhindern, dass ihre Verbündeten im Kampf gegen Japan unterliegen, starten die Amerikaner von Indien aus eine Luftbrücke durch den Himalaja. Bis zum Ende des Krieges werden auf dieser Route fast 600 Maschinen verlorengehen, doch die USA nehmen die Opfer in Kauf: Fällt China, könnte Japan im Pazifikkrieg noch mehr Truppen gegen sie aufbieten. Bis zu diesem Zeitpunkt freilich sieht es eher nicht danach aus, als müsste das Kaiserreich auf die Reserve zurückgreifen. Hirohitos Kämpfer scheinen unbezwingbar.

Ende 1942 aber treten alliierte Verbände zur Rückeroberung Burmas an. Hinter den vorrückenden Kampftruppen beginnen die Amerikaner, eine Straße durch das Patkaigebirge zu schlagen, über die deutlich mehr Versorgungsgüter als über die gefährliche Luftbrücke nach China transportiert werden sollen. Es ist ein Mammutprojekt, für das 15.000 amerikanische Bausoldaten, fast zwei Drittel davon Schwarze, in den hintersten Winkel Indiens verschifft werden.

Die Führung der US-Armee hält schwarze Soldaten aufgrund fehlender Willensstärke für wenig kampftauglich, wegen ihrer natürlichen Anlagen jedoch bestens für den Arbeitseinsatz im Dschungel geeignet. Wenn jemand die harten Bedingungen in den Tropen aushält, so die damalige Sicht, dann sie. Schwarze seien widerstandsfähiger gegen Malaria als Weiße und körperlich stärker. Und im Dunkeln sehen könnten sie auch – im Urwald ein unschätzbarer Vorteil. Die Befehle aber geben weiße Offiziere. Second Lieutenant Robert Warriner ist einer von ihnen.

Der frisch gebackene Uniabsolvent führt eine Einheit des 823. Engineer Aviation Battalion (EAB), ein rein schwarzes Kontingent, das im Dezember 1942 vom indischen Assam aus mit dem Bau der Ledo Road begonnen hatte. Sechs Wochen später erreichte die Truppe den Pangsau-Pass an der indisch-burmesischen Grenze, auch bekannt als Tor zur Hölle. Es wird noch zwei weitere Jahre dauern, bis der erste Nachschubkonvoi über die Dschungelstraße rollen kann. Im Juli 1945, kurz vor der japanischen Kapitulation, gelangen auf diesem Wege 6.000 Tonnen an Versorgungsgütern nach China. Über die Flugroute durch den Himalaja sind es dagegen mehr als 70.000 Tonnen.

Robert Warriner kennt die Zahlen. Dass all die Opfer umsonst gewesen sein sollen, mag er dennoch nicht akzeptieren. Die Leod Road habe beim Sieg über die Japaner in Burma eine wichtige Rolle gespielt, beharrt er. Schließlich seien über die Trasse auch die Kampfeinheiten der Alliierten mit Nachschub versorgt worden: „Wir haben einiges dazu beigetragen, die Japse aus Burma rauszuwerfen.“ Für ihn sind die ehemaligen Kriegsgegner immer „the Japs“ geblieben.

Den Einsatz selbst hat er eher als Abenteuer in Erinnerung behalten. War er bis dahin kaum über die Grenzen seiner Heimat Wyoming hinausgekommen, fand er sich nun am anderen Ende der Welt wieder. „Wir waren jung, alles um uns herum war neu und aufregend“, erzählt er und legt einige Fotos auf den Tisch, die ihn und seine weißen Kameraden vor exotischer Kulisse zeigen. Sie schliefen in Zelten, Geschichten von Tigerattacken machten die Runde, und gelegentlich trafen sie auf halbnackte Naga-Mädchen. Soldaten, die das als Angebot auffassten, lernten den ihnen eigentlich wohl gesonnenen Stamm allerdings von einer anderen Seite kennen. „Die Nagas schlitzten sie so auf, dass sie es noch zurück ins Armeelager schafften“, berichtet Warriner. „Die Botschaft kam an.“

Für Herman Perry, Soldat im schwarzen Baubataillon 849, wurden die Kopfjäger dagegen zum Zufluchtsort, nachdem er am 5. März 1944 Lieutenant Harold Cady, 28, weiß, erschossen hatte. Es ist eine dieser wilden Geschichten, die entweder schlecht erfunden oder wahr sind. In Perrys Fall ist sie verbürgt, und sie wirft ein Schlaglicht auf eine Armee, in deren Lazaretten zu jener Zeit noch streng darauf geachtet wurde, dass bei Transfusionen kein schwarzer Blutstropfen in weiße Soldatenadern geriet. Perrys Schwester jedenfalls wird seine Tat Jahre später in einem Interview als Folge der Rassendiskriminierung interpretieren: „Sie haben die Schwarzen wie Tiere behandelt.“

Herman Perry war 21, seit Monaten wühlte er sich mit seinen Kameraden durch Burmas Dschungel, sprengte Felsen, baute Brücken, die der nächste Monsun wieder wegriss, versuchte, seine Genitalien vor Blutegeln zu schützen, möglichst keiner Schlange in die Quere zu kommen und sich der unaufhörlichen Moskitoattacken zu erwehren. „Millionen Moskitos“, erinnert sich Robert Warriner. „Die waren das Schlimmste. Die meisten von uns bekamen irgendwann Malaria.“ Diskriminierung aber, sagt er, habe er in seinem Umfeld nicht erlebt: „Wir sind mit unseren Soldaten immer gut ausgekommen. Das waren feine Kerle.“ Dass die Hierarchie von Offizierscorps und Mannschaften das System der Rassentrennung aus Amerika eins zu eins in den burmesischen Urwald übertrug, vielleicht fehlte dem jungen Warriner dafür einfach die Antenne.

Herman Perry dagegen hatte ein ganzes Sensorium dafür entwickelt. Schon die Schiffspassage zum Kriegsschauplatz hatte jedem Schwarzen unmissverständlich klar gemacht, wo er hingehört: getrennte Quartiere, getrennte Mahlzeiten. Weißen Mannschaften steht das gesamte Deck offen, den Schwarzen, die meiste Zeit im Schiffsrumpf zusammengepfercht, bleibt das enge Vorschiff. „Es war wie Sklaven und Sklavenhalter“, hat es einer der schwarzen Soldaten später beschrieben.

Es ist mit Sicherheit nicht Perrys Krieg, er fühlt sich zurückgesetzt und ungerecht behandelt, und als ihn Harold Cady wegen unerlaubten Entfernens von der Truppe festnehmen will, drückt er ab. Oft bedurfte es nur eines Funkens, um das Pulverfass zur Explosion zu bringen. Wie brisant die Lage war, hatte sich 1943 auch in der Heimat bei mehreren Schießereien zwischen schwarzen und weißen Rekruten von Kalifornien bis Georgia gezeigt. Es gab etliche Tote.

Nach den Schüssen auf Cady war Perry geflohen und trotz der größten Verfolgungsjagd, die das US-Militär im Zweiten Weltkrieg in Szene setzte, blieb er lange Zeit wie vom Erdboden verschluckt. Irgendwann ging man davon aus, dass der Deserteur entweder von einem Tiger zerfleischt worden war oder dass ein paar Nagas an seinem Kopf Gefallen gefunden hatten. Dass ausgerechnet Perry, der daheim in Washington nur durch seinen Schlag bei Frauen aufgefallen war, plötzlich Überlebenstechniken entwickelt haben sollte, die einem Elitesoldaten Ehre gemacht hätten, konnte sich kaum einer vorstellen.

Doch dann tauchten Berichte über einen Schwarzen auf, der bei den Nagas lebte und die Tochter eines Dorfältesten geheiratet hatte. Robert Warriner kann sich gut an die Geschichte erinnern. Der Dschungelkönig, wie er bald genannt wurde, hatte unter seinen schwarzen Kameraden viele Sympathisanten, die ihn auch mit Essen und Waffen versorgten. „Er konnte bei jeder Einheit entlang der Ledo Road auf Hilfe rechnen“, sagt Warriner. Im Juli 1944 aber spürte ihn ein Suchtrupp in seinem Versteck auf. Beim Versuch zu fliehen, wird Perry von einer Kugel in die Brust getroffen. Eine Bluttransfusion rettet ihm das Leben. Halbwegs wieder genesen, wird er im September 1944 von einem weißen Militärtribunal zum Tode durch den Strang verurteilt, und hier hätte die Story eigentlich enden müssen. Doch im Dezember 1944, kurz vor der angesetzten Exekution, gelingt dem Todeskandidaten erneut die Flucht. Es dauert fast ein Vierteljahr, bis die Verfolger seiner wieder habhaft werden. Am 15. März 1945 wird Herman Perry im Militärgefängnis von Ledo gehängt. Robert Warriner ist zu diesem Zeitpunkt auf dem Rückweg in die Heimat.

Schon ein Jahr später war von der Straße, für die die Amerikaner Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt hatten, nicht mehr viel zu sehen. Der Dschungel hatte die Bulldozernarben bereits zu großen Teilen überwuchert, weite Abschnitte der in die Berge gesprengten Serpentinen waren durch Erdrutsche verschüttet, die Mehrzahl der Brücken von reißenden Flüssen fortgespült worden. Die indischen und burmesischen Arbeiter, die beim Bau der Ledo Road umkamen, hat niemand gezählt.


Dr. Frank Stern ist Journalist mit Themen-Schwerpunkt Asien

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