Alexander Wendt / 26.09.2012 / 21:36 / 0 / Seite ausdrucken

Die SZ erklärt Kindern Amerika

Weil immer mehr Jugendliche wenig bis nichts Gedrucktes lesen, produzieren Zeitungen gern Sonderausgaben für Kinder – zum einen, um die Kleinen vorsichtig an das Medium heranzuführen, zum anderen auch an Duktus und die Weltsicht des Mutterblattes. Schließlich sollen sie später einmal zur richtigen Zeitung greifen. Dass die Septemberausgabe der Kinder-Süddeutschen zum besonderes Destillat der SZ gerät, liegt vor allem an ihrem Thema:„Amerika – ein Heft über das mächtigste Land der Welt“. Zu erzählen gäbe es darüber viel, auch für 12jährige. Leider liegt dem idealtypischen SZ-Schreiber das Erzählen weniger als der Grundsatzkommentar. Das Editorial des eigentlich geschätzten Kurt Kister setzt schon mal den Ton fürs Ganze:

„Ja, vieles ist USA. Das ist auch ein Problem, denn es gibt jede Menge Menschen, die finden, dass die Amerikaner zu viel Einfluss haben – nicht nur bei Musik, Technik, Klamotten, sondern auch in der Politik, in der Wirtschaft und in der Kultur. Im Mittleren Osten halten manche die USA für den ‚großen Satan’. Wohin so etwas führen kann, haben die schrecklichen Anschläge auf das World Trade Center gezeigt, aber auch die Kriege in Afghanistan und im Irak, die Washington mit einigen Verbündeten führte.“

Was genau führte zum 11. September und zu den beiden Kriegen? Der Hass auf den großen Satan? Oder der Einfluss der USA? Man weiß nicht genau, was Kister sinnverdunkelt und kindgerechter Sprache meint. Aber gleich wird es klarer, und zwar schon bei einem Artikel über das amerikanische Freiheitsideal ganz vorn im Heft:

„Kein Denkmal lieben die Amerikaner so sehr wie ihre Lady Liberty, die Freiheitsstatue. Die grüne Dame im Schmuddel-Hafen von New York symbolisiert das, was für sie ihr Land im Innersten ausmacht: eben das Gefühl, frei zu sein…erst vor ein paar Wochen hat das Oberste Gericht in Washington bestätigt, dass man ohne jede Beschränkung in der Öffentlichkeit die Unwahrheit sagen darf. Zum Beispiel hat in Kalifornien ein Politiker eine Wahl gewonnen, weil er behauptete, einen Orden für Tapferkeit bekommen zu haben. Dabei war er nie Soldat. Man darf ihn jetzt aber nicht dafür bestrafen. Freiheit bedeutet eben auch die Freiheit, dicke Lügen zu verbreiten. Und für unglaublich viele Amerikaner bedeutet Freiheit das Recht, überall ungeniert mit einer Waffe herumlaufen zu können Wie einst im Wilden Westen. Auch das ist hierzulande unvorstellbar.“

Damit ist die erste Lektion für die Kurzen schon abgehakt: Eine Dame im Schmuddelhafen symbolisiert eben nur ein Gefühl von Freiheit, die in der Praxis gerade mal dazu taugt, sich hochzulügen und wirklich überall – also auch im Flugzeug und in Regierungsgebäuden – ungeniert mit dem Schießprügel zu paradieren. Auch das – neben lügenden Politikern – ist hierzulande natürlich unvorstellbar.

Ihren jugendlichen Lesern bringen die SZ-Redakteure auch ihre eigene Skepsis gebührend nah, ob in den USA überhaupt eine richtige Demokratie herrscht. Die Frage liegt ja auch auf der Hand, wenn ein Politiker die Wahl schon dadurch gewinnen kann, dass er sich einen Schwindelorden anheftet. Über den US-Präsidenten weiß die Kinder-SZ:

„Er ist mehr als der deutsche Bundespräsident und die Bundeskanzlerin zusammen, er ist in seinem Land fast so etwas wie ein König.“

Außer, wenn er im Kongress etwas durchbringen muss – aber mit einem diesem Exkurs muss kleine Köpfe nicht noch zusätzlich verwirren. Was fängt der Präsidentenkönig eigentlich mit seiner Macht an? Die Frage wird gebührend unter dem Stichwort „Die Weltpolizei“ abgehandelt:

„Die Weltmacht Amerika hat ein ganz besonderes Bild von sich selbst. Die USA sehen sich als Land, das die Freiheit und Demokratie in aller Welt schützt.“

Hier gibt es einen kleinen Einschub im Text, denn in der Tat, es gab einmal eine geschichtliche Phase, die nicht so Recht zum Bild des aufgeklärten Europa und dem verlogenen schießverrückten Amerika zu passen scheint:

„Tausende US-Soldaten sind zum Beispiel noch immer in Japan und Deutschland stationiert. Beide Länder haben früher ihre Bevölkerung brutal unterdrückt, beide Länder griffen im Zweiten Weltkrieg andere an und wurden von den USA gestoppt.“

Die Frage, wie ein Regime die eigene brutal unterdrückte Bevölkerung dazu bewegen konnten, auf internationalen Raubzug zu gehen und speziell im Fall Deutschlands auch noch eine unbeliebte Bevölkerungsgruppe in ihrer eigenen Mitte auszuplündern und zu ermorden, kurzum, die Frage, ob ein Diktator womöglich auch mit großem Rückhalt herrschen kann, muss nun wirklich nicht vor Kindern erörtert werden. SZ-Redakteure finden diese Dialektik ja schon selbst schwierig genug. Wichtig ist für die Kurzen: Uropa wurde im Dritten Reich - von wem eigentlich? - brutal unterdrückt. Dann kamen die Amis, so weit, so gut. Aber:

„Heute werden die USA von vielen kritisiert. Viele Menschen sind der Ansicht, dass die USA sich um ihre eigenen Angelegenheiten kümmern soll, statt sich in fremde einzumischen. Außerdem gibt es jemand anderen, der auf der Welt für Ordnung sorgen soll: die Soldaten der Vereinten Nationen oder United Nations (UN). Das ist eine Organisation, in der sich 192 Nationen zusammengeschlossen haben, um Frieden zu schaffen…warum, so fragen diese Kritiker zum Beispiel, unterstützen die USA die Rebellen gegen die Regierung in Syrien, die das eigene Volk quält…Und warum schauen die USA weg, wenn in Afrika Menschen in Bürgerkriegen leiden, aber im Irak und Afghanistan greifen sie ein – und führen Krieg?“

Falls ein Zwölfjähriger hinreichend hell im Kopf und noch nicht allzu lange unter dem Einfluss der Kinder-Süddeutschen steht, könnte er natürlich fragen, warum die patente UN als eigentliche Friedensstifterin denn nicht wenigstens überall dort eingreift und Bürgerkriege beendet, wo die Amerikaner nicht wollen? Schließlich hatte das doch schon in Ruanda, im Kongo und Sudan so vorbildlich geklappt.
Hochaktuell ist die kleine SZ auch:

„Ein einzelner Amerikaner beleidigt in einem dummen Film den Islam, daraufhin wird der US-Botschafter in Libyen, der gar nichts damit zu tun hat, umgebracht.“

Durch die Feststellung, er habe gar nichts damit zu tun, schimmert hier auf schönste die pädagogisch wertvolle Feststellung durch, wenn er damit zu tun gehabt hätte, dem Islam dumm zu kommen, dann ginge es schon in Ordnung, wenn ihn irgendjemand – wer auch immer – umbringt.

Zum Schluß der belehrenden Lektüre folgt noch ein Comic, in dem offenbar deutsche „Kinderreporter“ mit Onkel Mitch am Colorado River entlangreiten. Dort spukt es allerdings; sie sehen beim Lagerfeuer selbst einen Knochenmann zu Pferde, der die Bleichgesichter im Namen von Häuptling Geronimo aus dem Indianerreservat vertreiben will. Die kleinen Klugscheißer wissen natürlich, dass Geronimo Apache war, während sie im Paiute-Gebiet unterwegs sind, und enttarnen ruckzuck den Spuk: Zwei gutwillige, aber hoffnungslos unterbelichtete Umweltschützer von der örtlichen High School führen die Gespenstervorstellung nämlich nur auf, um ein Staudammprojekt zu verhindern. Und das funktionierte sogar: „Die Leute sind so abergläubisch.“ Aber nicht die Kindereporter: Sie haben zufällig eine vom Aussterben bedrohten Iltisart fotografiert, die richtige große „Süddeutsche“ druckt das Bild, und das Staudammprojekt in Arizona platzt.

Aber überhaupt – die richtige große „Süddeutsche“ berichtet praktisch ganz ähnlich, wenn nicht identisch über das faszinierende Land, in dem man lügt und schießt, gerne „Pfannenkuchen, Würstchen, Toast und Kartoffeln“ zum Frühstück verdrückt und sich in fremde Angelegenheiten wie Dachau und Bergen-Belsen eingemischt hat, statt sich um die eigenen Indianerreservate zu kümmern. Bei der SZ handelt es sich eben um mehr als eine Zeitung. Wenn die jungen Leser irgendwann auf das große Blatt aus München umsteigen, werden sie also kaum eine Irritation verspüren. Auch später nicht. Sie müssen nur ihrer Anstalt treu bleiben

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